Hamburg – Horn – Not

Zuletzt aktualisiert vor 5 Monaten

Winternotprogramm in Hamburg 2013/2014

Am kleinen Einkaufscenter Horner Rennbahn stehen sie seit einigen Wochen so gegen 18 bis 19 Uhr, die „Dreibeinigen“ oder „Krückenmänner“, Bettler aus Osteuropa, oder korrekter Armutsmigranten aus Südosteuropa. Sie warten darauf, dass sie in ihre Unterkunft an der Weddestraße können. 10 bis 20 dunkel gekleidete dick eingemummelte Männer mit je einer Krücke stehen zusammen, lachen, trinken den gerade im Supermarkt erstandenen billigen Schnaps. Manchmal sind auch Frauen dabei. Sie kümmern sich nicht um die vorbeihastenden, unwillige Blicke werfenden Menschen und unterhalten sich angeregt in der Sprache der Roma.

Bettlerin in der Mönckebergstraße Hamburg
Bettlerin in der Mönckebergstraße Hamburg

Winternotprogramm

Im Winter fallen die vielen Obdachlosen mehr auf als sonst, da sie nicht so viele Rückzugsorte finden. In Hamburg gibt es von November bis Ende März das sogenannte Winternotprogramm, das dafür sorgen soll, dass niemand im Winter erfriert. Doch auch in diesem Winter sind wieder einige Obdachlose in Hamburg auf der Straße gestorben. Das Winternotprogramm ist für alle da, die in irgendeiner Form Anspruch auf Sozialleistungen haben. Dazu muss man in Hamburg gemeldet sein oder irgendwie nachweisen, dass man Anspruch hat. Rund 240 Plätze stehen in der Spaldingstraße zur Verfügung.

Damit bleiben viele außen vor, nämlich die Ausländer, die Menschen, die keinen Ausweis haben, die ganz Verlorenen. Für die gibt es den Erfrierungsschutz. Es soll ja niemand in Hamburg erfrieren. Und einen solchen Erfrierungsschutz gibt es in Hamburg-Horn in der ehemaligen Schule in der Weddestraße. Da das nur ein paar Meter von mir entfernt liegt, habe ich mich endlich aufgemacht, mir das mal anzuschauen.

Schule an der Weddestraße Winternotprogramm
Schule an der Weddestraße

Das ehemalige Notprogramm

Wie sieht so ein Erfrierungsschutz im Winternotprogramm aus? Ich bin schon um 17:00 Uhr da, die Bedürftigen können erst ab 19:00 Uhr ihr Bett aufsuchen. Eine freundliche Dame zeigt mir kurz eines der ehemaligen Klassenzimmer. An der Wand hängt noch die Tafel, im Zimmer stehen 10 Feldbetten, bedeckt mit Schlafsäcken und Decken. Sieht alles ziemlich individuell aus. Zu meinem Erstaunen erfahre ich, dass jeder seine Sachen auch tagsüber hier liegen lassen kann. Ein paar Taschen stehen in der Ecke. Viel Gepäck darf man nicht haben, dafür ist kein Platz. Ansonsten sieht alles ganz ordentlich und sauber aus.

Von der Dame erfahre ich, dass rund 170 Menschen hier übernachten können und dass diese Zahl auch meistens erreicht wird. In der schlimmsten Nacht schliefen 191 Menschen in der Schule. Es darf niemand abgewiesen werden. Die Plätze werden vom Winternotprogramm in der Spaldingstraße verwaltet. Einfach so darf niemand hier auftauchen.

Von der Spaldingstraße in der Nähe des Hauptbahnhofs fährt abends ein Shuttlebus und bringt die Leute zu den Unterkünften und am Morgen werden sie auch wieder in die Stadt gebracht, wenn sie wollen. Die Leute können hier übernachten, sonst nichts. Es gibt Räume für Frauen und Männer getrennt, Waschmöglichkeiten und am Morgen einen Kaffee oder Tee. Zu Essen bekommen sie nicht, dafür gibt es andere Stellen, die ihnen auf Anfrage von den Mitarbeitern von Pflegen und Wohnen, die die Unterkunft betreuen, mitgeteilt werden. Weitergehende Beratung gibt es nicht.

Manche der Bewohner kaufen sich noch etwas ein im nahen Penny oder am EKZ Horner Rennbahn. Kochen geht gar nicht. Alkohol und Rauchen ist in der Unterkunft streng verboten. Ein Sicherheitsdienst wacht darüber, dass dies eingehalten wird. Beim Betreten schaut man in die Taschen und kassiert ggf. die Flaschen ein, die man am Morgen wiederbekommt. Das führt dazu, dass viele vor der Tür noch bis spät trinken und rauchen, was bei den Nachbarn nicht auf Begeisterung stößt.

4 Männer und 1 Frau vom Sicherheitsdienst wachen die ganze Nacht darüber, dass es in den Zimmern und Gängen nicht zu Auseinandersetzungen kommt. Die Sicherheitsleute sprechen viele der notwendigen Sprachen, was ein großer Vorteil ist, wie die Dame von Pflegen und Wohnen erklärt.

Es bleibt nicht aus, dass es bei diesem Mit- und Durcheinander von Arabern, Bulgaren, Rumänen, Polen, aus dem Baltikum usw. zu Konflikten kommt, manchmal ganz handgreiflich. Auch Diebstähle sind nicht selten, denn es gibt keine Möglichkeit, sein Gepäck zu verschließen, keine Schließfächer.

Ich frage, ob mit dem milderen Wetter die Nachfrage nachgelassen habe. Oh nein, sie habe eher zugenommen. Woran das liege, kann sich die Dame nicht erklären. Auch ich habe den Eindruck, dass jede Woche mehr Krückenmänner an der Horner Rennbahn stehen.

Am 31. März wird das Winternotprogramm beendet und mir bleibt die Frage, wo schlafen die Leute danach?

Obdachloser im vergangenen Sommer
Obdachloser im vergangenen Sommer

2018: Die Notunterkunft in Horn gibt es nicht mehr. Dafür sind andere Unterkünfte entstanden oder erweitert worden. Auf dem Gelände der Schule sind Containerunterkünfte für Flüchtlinge aufgestellt worden.

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4 Kommentare

  • BambooBlog

    So lange sich in den Heimatländern nichts tut, können wir nicht viel mehr tun als „Erfrierungsschutz“

  • BambooBlog

    Danke, so viel mache ich gar nicht. Wenn nur mehr Menschen mit offenen Augen durch die Welt gehen würden!

  • Houdini

    Schlimm, ja. Leute gehen dorthin, wo sie gehört haben, das Leben sei besser. Europäer fuhren nach Amerika, als es nicht so gut ging und sie hier keine Zukunft sahen. Heute kommen Leute aus gleicehm Grund zu uns, weil es billiger ist, näher. Das Problem der Zuwanderung Hilfsbedürftiger ist selbst eingebrockt.

  • Es sollte mehr Menschen wie dich geben, die etwas für Bedürftige tun.

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