19.02.92 Aufregendes Indien

Zuletzt aktualisiert vor 6 Monaten

Varanasi – Palaststadt am Ganges

Indien! Nun war ich also einige Tage alleine in Indien unterwegs. Der Wechsel zwischen farbenfrohen und schönen Eindrücken und dem Anblick von Armut, die Begegnungen mit nervigen Rikscha-Fahrern und Bettlern zerren an allen meinen Sinnen und Nerven.

Ja, Ihr mögt ungläubig gucken und an meinen Erinnerungen zweifeln: Ich habe sie wirklich gesehen – die Ganges-Delphine!!! Einen kurzen aber unvergesslichen Augenblick lang durfte ich sie sehen, im Ganges bei Varanasi.

Varanasi
Varanasi

Aus meinem Reisetagebuch 1992:

Varanasi: Pracht und Elend 

Am frühen Morgen komme ich in Varanasi an. Ich habe kaum geschlafen im Zug, bin müde, ungewaschen und wegen der vielen Störungen in der Nacht ziemlich schlecht gelaunt. Ich fühle mich schmutzig und der Ventilator hat mir Kopfschmerzen und Husten beschert.

Ich weiß genau, wo ich in Varanasi wohnen will, nämlich in der Yogi-Lodge in der Mitte der Altstadt. Andererseits weiß ich auch aus meinem Reiseführer, dass die Rikscha-Fahrer einen nur ungern dorthin bringen, weil sie da keine Provision bekommen.

Ich nenne dem Rikscha-Fahrer also einen Platz in der Nähe der Altstadt und handele einen Preis für die Strecke aus. Ich sage ihm deutlich, dass er ein Trinkgeld bekommt, wenn er mich ohne Umwege dorthin bringt. Er nickt. Dann kommt ein junger Mann zu uns, der uns eine Unterkunft anbietet. Ich schüttele den Kopf. Das Hotel liegt mir viel zu weit außerhalb. Ich habe auch keine Lust auf weitere Diskussionen. Da wendet sich der Mann an meinen Fahrer und redet in Hindi auf ihn ein.

Der Fahrer fährt schließlich los und lässt den Mann mitten im Wort stehen. Er sagt zu mir, dass die Unterkunft von dem Mann nicht besonders gut ist. Ich bin beruhigt und lehne mich entspannt zurück. Ich habe mir natürlich vorher den Stadtplan von Varanasi in meinem Reiseführer angeguckt und weiß daher, wie ich mich orientieren kann. Zuerst ist der Weg auch klar, den der Rikscha-Fahrer fährt.

Rickschah Konflikt

Doch an einer Kreuzung, wo ich erwartet hatte, dass wir nach links fahren würden, biegt er nach rechts ab. Ich frage ihn, wohin er will. Er tut erstaunt: natürlich fahre er zu der Unterkunft, die uns der Mann am Bahnhof empfohlen habe. Ich bitte ihn, umzukehren. Er kümmert sich nicht darum und meint nur, dass die Unterkunft doch sehr gut sei und ich sie erst mal ausprobieren solle.

Mir reißt der Geduldsfaden und ich fordere ihn mit lauter Stimme zum sofortigen Halt auf. Er stoppt und ich packe meinen Rucksack, gebe ihm das abgemachte Geld (ohne Trinkgeld natürlich) und gehe zurück in Richtung Stadt. Er läuft noch hinter mir her. Jetzt will er mich doch dahin bringen, wo ich hin wollte. Ich gehe gar nicht darauf ein und laufe stur weiter.

Hoffentlich bin ich auf dem richtigen Weg! An einer großen Kreuzung, auf die 6 Straßen münden, stehe ich zunächst ratlos rum und schaue auf meinen Plan. Ich bin mir fast sicher, dass die Altstadt ganz in der Nähe ist. Ein Mann fragt mich nach meinem Ziel. Ich bin heute nicht mehr in der Laune für das Spiel, möchte mich einfach nur in Ruhe orientieren.

Der Mann ist hartnäckig und fasst mich am Ärmel. Er weiß ein gutes Hotel in der Nähe. Ich sage fast noch freundlich, dass er mich bitte in Ruhe lassen soll. Er bleibt hartnäckig. Nachdem ich ihn mehrfach gebeten habe zu gehen, reißt mir endgültig der Geduldsfaden: „Do you really want a kick in your ass?“ schnauze ich ihn an. Da guckt er mich erschrocken an und geht weg. Ich bedaure natürlich gleich meine Unhöflichkeit. Zu spät.

In der Altstadt von Varanasi

Entschlossen gehe ich in die Richtung, die mir am korrektesten erscheint. Schnell habe ich die Altstadt gefunden. An einem Haus finde ich sogar einen Wegweiser zur Yogi-Lodge. Durch die engen Gassen gehe ich den Pfeilen nach. In der Yogi-Lodge ist leider kein Bett mehr frei. Aber wenige Schritte davon entfernt gibt es ein anderes Guesthouse, wo ich ein kleines Zweibettzimmer bekomme, das wirklich sehr preiswert ist. Die Zimmer gruppieren sich um einen kleinen Hof herum. Es gibt eine saubere Gemeinschaftsdusche und einige Traveller, mit denen man sich gut unterhalten kann.

Der Lärm der Straßen ist weit weg. Die Gassen der Altstadt sind so eng, dass kein Auto hindurchkommt und sie leicht von einer heiligen Kuh komplett versperrt werden. In der Nacht wird es kühl. Ich schlafe sehr früh ein und werde um 4:00 Uhr morgens vom Ruf des Muezzins geweckt. Dann ziehen Inder in Prozessionen am Gasthaus vorbei und laut singend und betend zum Ganges hinunter. Ich schlafe bald wieder ein mit einem Glücksgefühl: ich bin immer noch unterwegs in fremden exotischen Städten!

Am nächsten Morgen

Am Morgen führt mich mein erster Gang zum GPO. Das ist ein dunkles Büro in einem alten Gebäude. So viel Staub überall! Leider ist kein Brief von Ulli da. Ich werde sie wohl erst in Delhi treffen. Danach strolche ich durch die engen Gassen der Altstadt. Man kann sich leicht verlaufen. Aber jeder kennt den Weg zur Yogi-Lodge. Ich habe schnell herausgefunden, dass es besser ist, einen Ladeninhaber nach dem Weg zu fragen. Denn der kann seinen Laden nicht verlassen und mir hinterherlaufen.

In einem Seidengeschäft kaufe ich mir eine Seidenbluse für wenig Geld. Ich komme an einem vom Rauch des Feuers schwarzen Teehaus vorbei und setze mich zum Tagebuch schreiben an einen der dunklen Holztische. Der Tee ist lecker und ich kann von meinem Platz aus das bunte Treiben auf der Straße ungestört beobachten.

Im Ruderboot auf dem Ganges

Nachmittags lerne ich in meinem Guesthouse Tina und Thomas aus Deutschland kennen. Sie sind ganz begeistert von Varanasi und wollen sich abends ein Boot für eine Ruderpartie auf dem Ganges mieten. Als sie mich fragen, ob ich mitkommen möchte, schließe ich mich ihnen freudig an.

VAR Früher Morgen

Durch ein Spalier von leprösen Bettlern gehen wir zum Bootsanleger hinunter. Ich versuche, mich vor dem ganzen Elend zu verschließen. Es würde mich sonst überwältigen.

In einem nicht ganz vertrauenswürdig aussehenden Ruderboot sitzt Babaji, Väterchen, und wartet schon auf uns. Nachdem wir den Preis für die Fahrt ausgehandelt haben, steigen wir ein und Babaji rudert los. Er sieht ziemlich alt aus. Mit seinem fast zahnlosen Munde strahlend erzählt er uns, dass er schon 80 Jahre alt sei. Das glaube ich ihm dann doch nicht. Seinen Augen kann ich ansehen, dass er bis zur Halskrause voll mit Haschisch ist.

Er erzählt uns von den Maharadschas, an deren prachtvollen Palästen wir vorbeifahren. Auf der anderen Seite des Ganges zanken sich wilde Hunde und Geier um einen Kadaver, der im Fluss treibt. Ich mag gar nicht darüber nachdenken, was das wohl ist. Es heißt, dass neugeborene Kinder, die sterben, nicht verbrannt werden, sondern in Tücher gehüllt in den Ganges geworfen werden.

Die Verbrennungsgats

An den Verbrennungsgats (Gat = Anlegestelle) lodern die Scheiterhaufen, auf denen die Toten verbrannt werden, die es sich leisten können, in Varanasi zu sterben. Babaji weist auf ein neues Krematorium am Ufer hin, wo die Verbrennung nicht mit Holz sondern mit Elektrizität und Gas erfolgt. Das ist eine sehr unwürdige Methode und wird nicht von vielen Menschen in Anspruch genommen.

Wenn man in Varanasi stirbt und hier direkt am Ganges verbrannt wird, dann sind alle Sünden wie weggewaschen und man kann sicher sein, dass man im nächsten Leben glücklich und reich wird. Am besten ist die Verbrennung auf einem Scheiterhaufen aus Sandelholz. Das können sich nur die wenigsten leisten.

Sonnenuntergang auf dem Ganges

Die Sonne geht in einem Meer von roten und gelben Farben unter. Die Paläste der ehemaligen Maharadschas werden in goldenes Licht getaucht. Sie wirken fast so wie in den Zeiten, als es für jeden Maharadscha Ehrensache war, direkt am Ganges einen Palast zu haben mit einem eigenen Zugang zum Fluss.

Sonnenaufgang

Wir sind so angetan von dem tollen Sonnenuntergang, dass wir beschließen, am nächsten Morgen mit Babaji auch den Sonnenaufgang vom Ganges aus zu sehen. Schon zu der schrecklich frühen Zeit von 6:00 Uhr stehen wir am Ufer und warten auf Babaji. Endlich kommt er.

Die Luft ist kühl und ein wenig dunstig. Kein Windhauch. Das fahle Licht der Sonne wirkt wie ein Weichzeichner. Die Paläste sehen aus wie aus Tausendundeiner Nacht. Im Fluss springen die Fische. Es ist noch ganz still. Nur am Ufer schlagen die Wäscher die Leintücher auf die Felsen, um sie zu reinigen.

Ganges Delfine – ja, wirklich

Da erhebt sich vor uns aus dem Wasser ein dunkelgrauer Rücken mit einer kleinen Rückenflosse! Sie ist gleich wieder verschwunden. Dann ein zweiter! Ich erinnere mich, irgendwo gelesen zu haben, dass es im Ganges Delfine geben soll. Nie hätte ich gedacht, dass ich sie selbst sehen würde! Ich bin hingerissen von diesem Erlebnis und gucke fast gar nicht auf die bunte Menge, die im Ganges badet.

So früh am Morgen sieht man nicht nur Badende sondern auch Menschen, die ganz ungeniert ihr morgendliches Geschäft verrichten. Ich habe selten so viele nackte Ärsche gesehen, wie in den letzten Tagen in Indien!

Ein Bad im Ganges reinigt den Menschen von seinen Sünden und verhilft ihm zu einer besseren Wiedergeburt. In Varanasi ist das besonders Glück verheißend. Natürlich badet niemand nackt. Die Frauen tragen sogar ihren Sari. Unter großen Sonnenschirmen sitzen am Ufer die Saddhus, Heilige Männer, und Brahmanen und stehen den Menschen, die sich an sie wenden, mit ihrem Rat zur Seite.

Bin ich schon zu lange in Indien?

Beschwingt und voll mit diesen Eindrücken gehen wir zum Guesthouse zurück. An einer Hauswand häuft sich der Müll. Oben drauf sitzt eine Ratte und putzt sich. Im ersten Impuls möchte ich mich aus meiner guten Laune heraus zu Tina und Thomas, die hinter mir gehen, umdrehen und rufen: „Schaut mal wie niedlich!“ Ich kann mich gerade noch stoppen. Wenn ich jetzt schon Ratten niedlich finde, bin ich entschieden zu lange unterwegs!

Am Nachmittag kaufe ich am Bahnhof meine Fahrkarte nach Agra. Wieder eine Nachtfahrt! Ich bin ein wenig frustriert, dass ich nicht weiß, wann, wo und ob ich überhaupt Ulli und Jürgen treffen werde. Auf dem Rückweg besichtige ich den Durga-Tempel, einen kleinen Tempel mit vielen frechen Affen. Ich fühle mich so überwältigt von all den bunten und gegensätzlichen Erfahrungen in Varanasi, dass ich es vorziehe, mich den Rest des Tages im Hof des Guesthouses zu erholen.

Während ich so in der Sonne sitze und an meinem Tagebuch schreibe, spüre ich bei heiterem Himmel einen leichten Sprühregen. Als ich nach oben schaue, sehe ich einen Affen, der mich hämisch anzugrinsen scheint und in aller Ruhe auf mich herab pinkelt. Bääh! Ich stehe auf und gehe mich duschen.

Links

Wie alles begann

Ulrike

9 Gedanken zu „19.02.92 Aufregendes Indien“

  1. Ich habe erst an der Stelle, an der Ihr die Briefe(!) zur Post bringt, bemerkt, dass die Reise bereits 1992 stattfand. Auch wenn sich mein Bedürfnis, nach Indien zu reisen, in Grenzen hält: Lange nicht mehr einen solch fesselnden Beitrag in einem Reiseblog gelesen. Vielen Dank dafür!

  2. Südindien ist wohl nicht so schlimm. Und manche sehen das Elend nicht, wenn sie einen guten Guide haben

  3. Es ist so lustig: Deine Reise war 1992, unsere 2015. Hat sich etwas in Indien geändert? Nun ja, die Tuttuk haben die Rikscha ersetzt, ansonsten erkenne ich in deiner Erzählung genau das, was wir erlebt haben. Die Leute kann man wohl nicht so schnell updaten.

  4. Eine Mitbloggerin hat im Herbst mit ihrem Mann drei Wochen in Südindien verbracht, und sie hat geschwärmt ohne Ende. Ich glaube, sie hat die ganze Zeit mit einer rosaroten Indien-Brille auf den Augen verbracht, denn in all ihren Berichten gibt es kein Elend, keine leprösen Bettler, keine aufdringlichen Rikscha-Fahrer. 😉
    Indien würde mich schon reizen, aber wie du würde ich nur in einer organisierten Gruppe reisen, auch wenn ich eigentlich eine Einzelgängerin bin. 😉

  5. Danke für Deinen Kommentar! Wenn ich noch mal nach Indien reise, dann nur mit einer organisierten Gruppe. Oder nach Südindien.
    Aber toll ist es schon!

  6. Die meisten Menschen hören nur das Lied der Nachtigall. Und sie wundern sich über ihren Zorn, wenn sie es unterbrechen. So gern ich diesen Beitrag las, Indien wäre kein Reiseland für mich.

Ich freue mich auf Deinen Kommentar!