Von der Angst unterwegs – Der Überfall

Der Überfall in Edinburg und wie er mein Leben prägte.

Angst unterwegs kennt jeder Reisende. Sei es die Angst vor dem Fliegen, die Angst vor der Begegnung mit wilden Tieren oder die Angst bei der Fahrt am Rande einer tiefen Schlucht. Das sind Ängste, die durchgestanden oder überwunden werden. Diese gehören zum Abenteuer.

In den Gassen von Edinburgh. Pixabay. Artikel der Überfall
In den Gassen von Edinburgh. Pixabay

Auch die wirklich bedrohlichen Erlebnisse, der Überfall, der Unfall oder die unheimliche Begegnung mit anderen Reisenden usw., werden, sofern man sie heil überstanden hat, hinterher zu einer guten Geschichte. Nur ganz wenigen passiert etwas, das ihnen auf Dauer Angst vorm Reisen macht.

Mir ist sowas passiert. Ich stand an einem Punkt meines Lebens, an dem ich mir ganz bewusst Gedanken gemacht habe: Weiterreisen oder die Reise abbrechen. Im letzteren Fall hätte mir das Reisen so viel Angst gemacht, dass ich auf alle Fälle nur noch pauschal gereist wäre. Also hier mein Reisebericht von 1978:

Edinburgh

Dieses Erlebnis war ein sehr einschneidendes, denn es hing meine Zukunft davon ab.

Es war während meiner Interrailfahrt, meiner ersten großen Rucksackreise 1978. Ich war 23 Jahre alt, kam von Irland nach Schottland und hatte ein paar schöne Tage im äußersten Norden Schottlands verbracht. Als Höhepunkt nun Edinburgh mit seinem Schloss und den städtischen Annehmlichkeiten. Ich wollte hier nicht übernachten und plante, mit dem Nachtzug nach London zu fahren. Ich gab meinen Rucksack am Bahnhof ab, machte meine Besichtigungen und gönnte mir ein richtig gutes schottisches Mittagessen. Ein Bierchen in einem typischen Pub noch und dann ging ich fröhlich zum Bahnhof zurück.

Ich fühlte mich gut und beschwingt, hatte kaum noch Bargeld in den Taschen und überlegte schon, wo ich hier am Bahnhof eventuell einen Reisescheck einlösen könnte. Da überholte mich ein junger Mann, packte mich mit der linken Hand am Oberarm, die rechte hielt er in seiner Manteltasche: „I have a pistol! Give me your money!“ Was wollte der große, gut aussehende Mann von mir? Hatte ich den nicht eben noch im Pub gesehen?

Ein Überfall? Hier? Mir? Ich glaubte ihm kein Wort und antwortete keck: „I Do not believe you! Show mir your pistol!” Er war nun seinerseits ziemlich überrascht. „Ich kann doch nicht hier auf der Straße die Pistole ziehen!“ Ich schaute mich um, es kamen einige wenige Leute vorbei. Wie viel die sahen und was sie von der Situation mitbekamen, weiß ich nicht. Jedenfalls blieb niemand stehen.

Ich wiederholte, dass er mir seine Pistole zeigen solle. Nun verlor er die Geduld. Er tastete mich von oben bis unten ab, allerdings nicht sehr gründlich. Denn meinen „Brustbeutel“, den ich in meiner Unterhose trug, entdeckte er nicht. Aber die kleine Gürteltasche, in der ich meinen Tagesbedarf an Geld, meine Interrailkarte und meinen Ausweis aufbewahrte, die sah er natürlich.

Alles wird gut

Da er nur rund 2 Pfund englisches Geld fand, war er sichtlich enttäuscht. Das ging doch gar nicht: eine Touristin ohne Geld! Auf seine unwirsche Frage, wo ich denn mein Geld hätte, sagte ich „beim Gepäck am Bahnhof“. Auch nicht die Antwort, die er hören wollte. Meine kleine Kamera interessierte ihn nicht.

Er riss mir mit einem Ruck meine (billige) Armbanduhr vom Handgelenk. Dann wollte er noch mal in die kleine Tasche gucken und entdeckte – mein Klappmesser! Unschuldig mit eingeklappter Klinge lag es ganz unten in der Gürteltasche. „Ist das ein Messer?“ schrie er mich an. „Ja!“ nickte ich frech. Da bekam ich eine Ohrfeige, dass mir die Brille einige Meter weit weg flog. Während er davon rannte, musste ich meine Brille finden. Die Brille war noch intakt und ich machte mich ganz schnell auf den Weg zum Bahnhof.

Die ganze Zeit während des Überfalls, der vielleicht zwei drei Minuten dauerte, hatte ich ganz ruhig überlegt, ob er wirklich eine Pistole hatte, ob ich es drauf ankommen lassen sollte. Mir gingen auch so Fragen durch den Kopf wie „Was ist, wenn der wirklich eine Pistole hat? Wenn er auf mich schießt?“ Ich hatte mich auch ganz bewusst entschlossen, nicht zu schreien oder mich zu wehren. Letztendlich bin ich die ganze Zeit ruhig geblieben und habe keinerlei Angst empfunden.

Aber natürlich war das Ganze nicht ohne Folgen geblieben: Nachdem ich am Bahnhof mir meinen Rucksack geholt hatte und noch ungefähr eine Stunde auf den Zug warten musste, setzte ich mich mit zitternden Knien in eine Ecke und heulte. Leute, die mich fragten, was los sei, wies ich zurück. Ich wollte meine Ruhe. Zur Polizei gehen? Nein, ich wollte nur noch weg. Dann kam der Zug. Die Nacht war lang und anstrengend. Ich weinte viel und überlegte, was nun weiter geschehen sollte.

Der Tag, der über meine Zukunft entschied

Als ich in London ankam, war es ein trüber regnerischer Morgen, halt London eben. Es war Sonntag, ich hatte kein Geld in der Tasche. Ich wollte auch nicht mehr Geld tauschen, denn eines stand fest: Ich wollte nur weg, raus aus Großbritannien! Ich fand eine einsame Bank in Kensington Gardens und setzte mich. Immer noch liefen die Tränen, gemischt mit Regentropfen. Ich fühlte mich nass, kalt und elend. Der Überfall steckte mir in allen Fasern meines Körpers.

Da wurde die Sehnsucht fast übermächtig: Ich wollte heim zu meiner Mutter! Mich dort ins Bett legen und mich ein paar Tage von ihr verwöhnen lassen. Und dann? Ich hatte gerade die Hälfte meiner Zeit rum, wollte eigentlich noch nach Südfrankreich und Italien. Mir war bewusst, dass, wenn ich jetzt abbrechen würde, ich nie mehr in meinem Leben so reisen würde, immer Angst haben würde, nie mehr frei und unabhängig reisen würde. Ich wusste, dass ich hier und jetzt eine lebenswichtige Entcheidung treffen musste. Und entschied mich zum weiterreisen.

Ich hatte den Tag schon gut hinter mich gebracht, aber ich hatte Hunger und weinte immer noch. Da setzte sich ein Afrikaner zu mir und fragte mich, was denn los sei. Ich erzählte ihm von dem Überfall und meiner ganzen Misere. Er lud mich ein, in einer Fish+Chip­Bude etwas zu essen und zu trinken. Ich ging gerne mit ihm. Er war so freundlich und mitfühlend. Er opferte seine Zeit, um mir noch ein wenig Gesellschaft zu leisten.

Dann wurde es Zeit, den Zug nach Paris zu erreichen. In dem Zug lernte ich eine junge Kanadierin kennen, die ein feudales Zimmer mit Bad in einem schönen Hotel hatte und mich einlud, bei ihr zu duschen. Danach ging es mir wieder richtig gut!

Fazit und Rat:

Geld unterwegs immer über mehrere Taschen verteilen. Ich habe immer eine separates Täschlein mit soviel Geld, wie ich es für einen oder maximal zwei Tage brauche. Alles andere, auch die Kreditkarte, befindet sich in einem separaten Geldgurt oder einer brustbeutelähnlichen Tasche in meiner Unterwäsche, und zwar unterhalb des Gürtels. Am besten ist es, wenn eine dicke Gürtelschnalle oder eine Hosentasche drüber liegt und die Geldtasche nicht zu sehen ist.

Mein Portemonnaie mit dem Tagesbedarf hatte ich übrigens während meiner großen Reise 1991/92 immer an einer dünnen Kette an meiner Hose (nicht am Gürtel) befestigt Das traf besonders in China immer wieder auf anerkennende Blicke der Einheimischen. Tickets, Reisepass usw. gehören nicht in den Tagesrucksack und schon gar nicht in den Rucksack! Man sollte diese immer direkt am Körper tragen, gegen die Nässe in Plastik gehüllt.

Ulrike unterwegs
Ulrike unterwegs

Der Vorfall in Belgien

Eine Situation kurz darauf, kein Überfall aber genauso beeindruckend.

Auf o.g. Interrailreise 1978 war ich auf dem Rückweg, im Zug kurz vor Brüssel. Nach einer sehr unruhigen Nacht im Zug besuchte ich frühmorgens die Toilette. Als ich mich von dem Klo erhob, den Gürtel schließen wollte, stellte ich fest, dass meine Gürteltasche, die auch in dem obigen Erlebnis eine Rolle spielte, nicht mehr da war. Entsetzt drehte ich mich um: Da war sie! Im Loch der Toilette. Zugtoiletten führten damals noch direkt auf die Gleise. Unter der Tasche sah ich die Schwellen vorbeisausen. Nur wenige Sekunden schienen meine Tasche vom freien Fall auf die Schienen zu trennen.

In so einer Situation arbeitet das Gehirn auf Hochtouren: Meine Fahrkarte, mein Ausweis, mein letztes Geld!!! Mein Herz schien für Bruchteile einer Sekunde stehen zu bleiben. Es gab nur eins: Eilig krempelte ich meinen Ärmel hoch. Mit spitzen Fingern griff ich ins Klo und packte die Tasche. Hurra! Ich hatte alles wieder! Das Klo war so am frühen Morgen nicht sehr dreckig. Danke für kleine Gnaden! Die Tasche leerte ich aus und schmiss sie weg. Und glaubt mir, so saubere Hände wie nach der folgenden gründlichen Waschung habe ich selten gehabt!

Der Überfall in Edinburgh ist heute nur noch Erinnerung, eines der vielen Abenteuer, von denen ich heute erzählen kann.

Zuerst veröffentlicht 2015, zeitweise Teil einer Blogparade. 2022 komplett überarbeitet.

Ulrike

9 Gedanken zu „Von der Angst unterwegs – Der Überfall“

  1. Was für eine Geschichte! Nicht nur das bestohlen werde, das schon schlimm genug ist. Aber die gewaltsame Bedrohung mit einer Waffe. Ich glaube, man reagiert nur noch mechanisch in so einer Situation. Es heißt ja immer, man soll sich nicht wehren und lieber Geld und Tasche abgeben.

    Deine Entscheidung danach trotzdem weiter zu reisen, finde ich sehr mutig! Ich weiß nicht, ob ich das geschafft hätte. Daumen hoch!

  2. Ich bin relativ groß und, glaube ich, nicht der Opfertyp. Ich habe so eine Situation nie wieder erlebt. Solche Versuche, mich zu bestehlen, hat es auch schon gegeben, und das mitten in Hannover! Aber an mein Geld kommt man nicht so schnell! 😉

  3. Oh mann, was für ein Erlebnis! Ich selbst habe in Edinburgh auch mal ein kleines Erlebnis gehabt, aber harmlos dagegen. Und zwar ist das eine Masche, die funktioniert, weil die Lothian-Busfahrer kein Wechselgeld geben. Eine Frau fragte mich nach ein paar Münzen, damit sie auf den richtigen Betrag kommt. Ich nahm den Geldbeutel raus und zack, war ihre Hand dran. Sie hat aber nur Quittungen erwischt und keine Geldscheine und war deshalb ganz schön angepisst 😉 Aber da hatte ich auch keine Angst, die wäre mir körperlich nicht überlegen gewesen. Ansonsten habe ich mich in Edinburgh aber immer sicher gefühlt. Ich denke, es spielt auch eine große Rolle, ob man als Touristin wahrgenommen wird.

  4. Danke. Ja, der Mann hatte keine Pistole.Da bin ich mir heute sicher.Aber von Kampfsport hatte ich damals noch gar keine Ahnung 😉

  5. Der Mann hatte keine Pistole. Schusswaffen wirst du in GB selten finden. Einerseits hast du gut, aber auch falsch reagiert. Wer mich anfasst, hat bereits verloren. Da kann ich nur zu Wen-Do, oder Krav Maga raten. Der Typ würde heute noch heulen.

    Wichtig bei Überfällen ist es einen kühlen Kopf zu bewahren und die Situation genau zu analysieren. Bei einer sichtbaren Waffe, egal ob Messer, oder Pistole, spielen nur youtube-Großmäuler und Dummköpfe den Helden. Meist geht es Tätern um das schnelle Geld. Beschaffungskriminalität wird das im Fachjargon genannt. Anders sieht es aus, wenn das eigene Leben, oder die Gesundheit bedroht werden. Da hilft es, den Angreifer abzulenken, sprich mit ihm zu reden und den Fokus weg von seiner Waffe zu richten. Das klappt immer. Auch solche Angreifer haben Angst. Vielleicht mehr als du.

  6. Ja, Angst davor beklaut zu werden habe ich nicht. Denn ich habe alles getan, damit es nicht passiert oder der Schaden zumindest so gering wie möglich ist.

  7. Ich kann Mayumi nur 100%ig zustimmen. Ich bin auch schon recht häufig durch die Welt gezogen, aber Angst, beklaut zu werden hatte ich nie (obwohl es mir mit 18 in Israel passiert ist, eigene Dusseligkeit) und ich habe mein Geld eigentlich immer ganz „normal“ im Portemonnaie…

Ich freue mich auf Deinen Kommentar!