Die Bagdad-Juden und Shanghai

Zuletzt aktualisiert vor 1 Jahr

Juden in China Teil 2: Im 19. Jahrhundert wanderten Juden aus dem Orient über Indien nach China ein. Sie ließen sich überwiegend in Shanghai nieder.

Die Bagdad-Juden und Shanghai

Juden in China Teil 2: Im 19. Jahrhundert wanderten Juden aus dem Orient über Indien nach China ein. Sie ließen sich überwiegend in Shanghai nieder.

Shanghai - der Bund geprägt durch Bagdad-Juden
Der Bund in Shanghai

Die Ursprünge der Bagdad-Juden

Seit dem 6. Jahrhundert vor der Zeitenwende (mindestens) lebten Juden in Bagdad und im Gebiet des „fruchtbaren Halbmonds“, dem einstigen Babylonien. Dort war über viele Jahrhunderte das Zentrum des orientalischen Judentums. Bekannt ist der Babylonische Talmud, der zwischen 550 und 700 in Bagdad entstand.

Trotzdem gab es verstärkten Druck auf die Juden durch das Osmanische Sultanat. Etliche Familien wanderten aus und fanden in Indien eine neue Heimat, wie z.B. die Familie Sassoon, die Familie Hardoon oder auch die Familie Kadoorie.  Schon dort wurden sie als Bagdad-Juden bezeichnet.

Ihr Lebensinhalt war der Handel. Ihr Wohlstand brachte ihnen schnell eine einflussreiche Stellung bei den Briten ein, die damals Indien kolonialisierten. Sie wurden Bagdad-Juden genannt. Die Geschichte war wechselhaft. Doch im 19. Jahrhundert lebten mehrere 10.000 Juden relativ unbehelligt in Bagdad. Einige Familie hatten einen großen Wohlstand erreicht. Sie nutzten ihre guten Beziehungen weltweit für ihren Handel.

Handel mit Fernost

Wie die Briten waren auch die Bagdad-Juden an einem intensiven Handel mit Fernost interessiert. Dabei gab es zwei Punkte, die den Handel mit China sehr erschwerten. Seit dem 17. Jahrhundert hatte sich China gegen alle Einflüsse von außen abgeschottet und ließ nur in Ausnahmefällen einige christliche Missionare ins Land. Außer Kanton war noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts keine chinesische Stadt für „Ausländer“ geöffnet. Nur dort durfte Handel mit dem Westen getrieben werden.

Der zweite Punkt war die Gier der westlichen Welt nach lukrativen chinesischen Handelsgütern, vor allem Tee, Seide und Porzellan. Die Herausforderung lag darin, dass man zwar Tee, Seide und Porzellan haben wollte, die Chinesen aber keinerlei Interesse an westlichen Waren hatten. Das führte dazu, dass die Briten mit Silber zahlen mussten und ihre Handelsschiffe praktisch leer zurück nach Indien fuhren. Das ist wirtschaftlich gesehen nicht so günstig.

Wie schon bei den Römern, die wegen des finanziellen Ungleichgewichts beim Seidenhandel das Tragen von Seide großenteils verboten, spürte man in Großbritannien die wirtschaftlichen Folgen des ungleichen Handels. Es kam zu einer schwerwiegenden negativen Handelsbilanz und deutlicher Silberverknappung.

Handel mit Opium, eine lukrative Idee

Bis dann irgendjemand auf die Idee kam, das in Indien und Südasien reichlich angebaute Opium als Handelsgut den Chinesen anzubieten. „Genial!“, dachte man, und die Chinesen waren zunächst begeistert. Bis den ersten Beamten aufging, dass Opium süchtig macht, lethargisch und gleichgültig. Das bedeutete wiederum einen hohen wirtschaftlichen Verlust an menschlicher Arbeitskraft, und auch das Silber fehlte in der chinesischen Kasse.

Opium-Kriege

China verbot den Handel und den Konsum von Opium. Doch es war zu spät. Die East India Company war längst zu einem der größten Drogenhändler der Welt geworden, ganz offen und von den Regierungen in Großbritannien und Indien sanktioniert. Man wollte sich den lukrativen Handel mit Opium nicht mehr nehmen lassen. In der Folge kam es zu den zwei sog. Opium-Kriegen:
Erster Opiumkrieg (1839–1842)
Zweiter Opiumkrieg (1856–1860)

Opium-Pfeiffe
Zur Begrüßung von Gästen und Geschäftsfreunden gehörte im 19. Jahrhundert in China selbstverständlich eine Opium-Pfeife. Hier in einem Museum in Pingyao

Jedes Mal gewannen die Briten und ausländischen Mächte. Dies bedeutete, dass China sich weiter öffnen musste. Der Vertrag von Tianjin von 1858 wurde um die Pekinger Konvention erweitert und in dieser Form von Kaiser Xianfeng am 18. Oktober 1860 ratifiziert. Damit ergab sich für Großbritannien, Frankreich, Russland und die USA das Recht, in Peking (bis dahin eine geschlossene Stadt) Botschaften zu eröffnen. Der Opiumhandel wurde legalisiert, und Christen bekamen das Recht, Eigentum zu besitzen sowie die chinesische Bevölkerung zu missionieren.

Und die Bagdad-Juden? Die hatten fleißig mitgemischt im Handel mit Opium und profitierten von der Öffnung Chinas. Schnell ließen sie sich u.a. in Shanghai nieder und eröffneten florierende Handelshäuser. Darunter auch wieder die Familien Sassoon, Hardoon und Kardoorie. Sie erlangten nun mit Immobilienspekulationen, Bank-,Transport- und Baugeschäften legendären Reichtum, trugen mit ihren Aktivitäten aber auch zum Wachstum und zur Entwicklung der einstigen Provinzstadt Shanghai zu einem der führenden Finanzzentren des Fernen Ostens bei.

Sir Matthew Nathan 1862 - 1939
Sir Matthew Nathan war jüdischer Herkunft und von 1904 bis 1907 Gouverneur von Hongkong. Er sorgte sehr für die jüdische Gemeinde in Hongkong. Nach ihm wurde die berühmte Shoppingstraße in Kowloon benannt: Nathanroad

Bagdad-Juden in Shanghai

1901/02 baute die Familie Sassoon die Ohel-Lea-Synagoge in Hongkong. 1909 erweiterten sie die Kadoories um einen angeschlossenen jüdischen Club. Im selben Jahr wurden in Shanghai zwei bedeutende jüdische Gotteshäuser errichtet, nämlich die Shearith-Israel- und die Beth-El-Synagoge.

Beispiel: Die Familie Sassoon

Die Familie Sassoon
Die Sassoons können ihre Ursprünge als „ibn Schoschon“ bis ins maurische Spanien des Spätmittelalters zurückführen.

Infolge der Vertreibung der Juden aus Spanien durch die katholischen Machthaber flohen sie im 16. Jahrhundert nach Bagdad. Dort lebte die Familie gut 200 Jahre weitgehend unbehelligt, ehe es zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter osmanischer Herrschaft auch dort zu Pogromen kam.

1833 floh David Sassoon mit seiner Familie zunächst nach Persien, kurz darauf schließlich nach Bombay. Dort gründete David das Handelshaus David Sassoon & Co., dessen Eigentümer bald zu einer erfolgreichen und angesehenen Kaufmannsfamilie aufstiegen.

Einen Namen machten sie sich aber auch durch den Bau von Synagogen, Schulen und sozialen Einrichtungen.

Nach der Öffnung Chinas für den ausländischen Handel durch den Vertrag von Nanking 1842 wurde die Familie auch dort aktiv und brachte es, nicht zuletzt durch Opiumhandel, zu großem Reichtum. Maßgeblich am Aufstieg waren neben David insbesondere seine beiden ältesten Söhne Albert Abdullah und Elias beteiligt.

Ersterer führte das Erbe seines Vaters vor allem in Indien fort, siedelte in den 1870er Jahren nach England über und krönte seinen sozialen Aufstieg schließlich 1887 mit der Hochzeit seines Sohnes Edward Anthony mit der Baroness Aline Caroline aus dem Hause Rothschild.

Elias indes wurde zum Stammvater des chinesischen Zweigs der Familie Sassoon. Heute leben Nachkommen der Dynastie vor allem in England und den USA. Wikipedia

1920 kamen die Ohel-Rachel- und die Beit-Aharon-Synagoge dazu. Anders als ihre Glaubensbrüder damals in Kaifeng assimilierten sich die in Shanghai ansässigen sog. „Bagdad-Juden“ nicht mit der chinesischen Kultur, sondern schotteten sich gegen die Urbevölkerung ab und pflegten ein Elitendenken. Zusammen mit dem System der Konzessionen für die verschiedenen Nationalitäten in Shanghai führte dies zu einer Art Ghetto in Shanghai.

Allerdings machte die Anwesenheit der Juden Shanghai zu einem möglichen Ziel der verfolgten Juden der Nazis.

Links

Mehr über die Wanderungsgeschichte der Juden von Bagdad bis nach Shanghai findet Ihr bei der Jüdischen Allgemeinen.

Ulrike
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3 Gedanken zu „Die Bagdad-Juden und Shanghai“

  1. Ja, damals hat man sich zunächst nicht viele Gedanken um die Folgen des Opium-Konsums gemacht. Da gibt es viele schreckliche Geschichten in China.

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