Kunming nach Guilin 1987: 30 Stunden Hardsleeper

Mit dem Hardsleeper geht es weiter!

Auf so einer Reise muss es ja immer weiter gehen: zwei drei Tage und schon heißt es wieder „Aufbruch!“. Kunming hält uns auch nicht wirklich. Ohne großes Bedauern reisen wir weiter. 2011 habe ich Kunming wieder gesehen. Irgendwie finde ich die Stadt selbst immer noch nicht sehr interessant. Die Altstadt ist fast völlig verschwunden. Hochhäuser und eine schöne Fußgängerzone: das neue Kunming.

Kunming - Guilin mit dem Zug
Wie sehr sich China seitdem verändert hat, merke ich auch immer bei den Fahrtzeiten. Hat 1987 die Zugfahrt von Kunming nach Guilin noch weit über 30 Stunden gedauert, inklusive zwei fast kompletten Nächten im Zug, so sind es heute maximal 20,5 Stunden. Und es ist sicherlich nur noch eine Frage der Zeit, bis durch Hochgeschwindigkeitszüge die Fahrt nur noch wenige Stunden dauert. 1991 habe ich es dann vorgezogen zu fliegen (mehr).

11.11.87 Aufbruch von Kunming

Genüsslicher Bummel durch Kunmings Seitenstraßen

Heute lassen wir uns mit dem Aufstehen Zeit. Trotzdem kommen wir noch rechtzeitig zum Frühstück ins Hotelrestaurant. Ich habe Appetit auf ein Western Breakfast und freue mich, dass ich im Kunming-Hotel die Möglichkeit dazu habe. Ich habe gerade meine Spiegeleier bekommen, da gesellt sich das deutsche Ehepaar zu uns. An dem einfachen Frühstück im Hotel mäkeln sie ununterbrochen. Sie wollen heute nach Kanton weiterfliegen. Ich beneide sie nicht um ihren Luxus. Ich denke, dass ich auf meine Weise viel mehr von China und seinen Menschen sehe als sie.

Die Zeit, bis wir meine Fahrkarte vom Lala-Café abholen sollen, verbringen wir mit einem geruhsamen Spaziergang durch die Stadt. Eine Pagode fotografieren wir sozusagen im Vorübergehen. Die Straßen sind voller Menschen und Märkte. Eine weiße Bogenbrücke führt über einen schmutzigen Kanal. In einer Straße leuchten die Farben der Wollknäuel eines Verkaufsstandes schon von weitem.

Die Menschen sind zwar nach wie vor überwiegend in grau, grün oder blau gekleidet. Aber man kann überall Zeichen sehen, dass sich das jetzt rasch ändert. Ich frage mich, wie es möglich war, dass man diese Menschen, die so offensichtlich strahlende Farben lieben, dazu gebracht hat, jahrelang einheitlich in blau oder grau herumzulaufen.

Masseure im Stadtzentrum von Kunming
Masseure im Stadtzentrum von Kunming 2011

Eine friedliche Pagode mit einem wütenden Chinesen

Ein Tor mit einem geschwungenen traditionellen Dach verlockt uns, hindurch zu gehen und zu schauen, wohin der kleine Weg führt. Wir kommen in ein friedliches Stadtviertel, in dem keine Autos fahren. Schon von weitem haben wir eine leuchtend weiße Pagode gesehen. Bald stehen wir vor ihr. Hinter hohen Mauern liegen renovierte Tempelgebäude, die jetzt als Wohnhäuser genutzt werden. Begeistert fotografieren wir die schöne Anlage.

Von den meisten Gebäuden sind wegen der Mauer leider nur die Dächer zu sehen. Wir halten uns zurück und machen keine Fotos von den Wohnungen, die sehr schmuck und ordentlich aussehen. Trotzdem fasst mich plötzlich ein älterer Chinese am Arm und beschimpft uns auf Chinesisch. Er versucht, uns zum Tor zurückzudrängen. Ich schimpfe auf deutsch zurück, denn ich mag es gar nicht, wenn ich so einfach angefasst werde. Ärgerlich gehen wir zur Strasse. Er hätte uns auch freundlicher davon verständigen können, dass der Zutritt verboten ist. Schließlich gibt es an dem Tor kein Schild, auf dem darauf hingewiesen wird. Da in chinesischen Städten solche Tore einfach den Anfang einer Strasse markieren, war uns auch nicht bewusst, dass wir einen privaten Bereich betreten könnten.

Endlich bekomme ich meine Fahrkarte!

Zufällig sehen wir, wie vor einem kleinen Restaurant das Geschirr in heißem Wasser gespült wird. Das nehmen wir als Zeichen besonderer Sauberkeit. Wir gehen hinein. Da es keine Speisekarte gibt und wir kein Chinesisch sprechen, führt uns die Wirtin in die enge, schummrige Küche. Wir können uns aus den verschiedenen Schüsseln unser Menü selbst zusammenstellen. Es wird ein richtiges Festmahl: Schweinefleisch, Rühreier mit Tomaten, Kohl.

Dann gehen wir zum Lala-Café. Unterwegs kaufen wir in einer Apotheke noch chinesische Medizin gegen unsere ständige Erkältung. Die Medizin von dem Arzt am Dragon Gate hat zwar geholfen. Aber meine Nase läuft noch immer und der Husten ist kaum auszuhalten. Dazu habe ich abends anscheinend immer leichtes Fieber und Kopfschmerzen. Hoffentlich hilft diese Medizin endlich!

Im Café bekomme ich glücklicherweise meine Fahrkarte. Mein reserviertes Bett ist im Nachbarabteil von Anitas. Ich bin ganz froh darüber. Jetzt kann ich in Ruhe ein Bier trinken und mich entspannen, bis der Zug abfährt.

Auf dem Weg zum Bahnhof

Eine Stunde vor Abfahrt machen wir uns auf den Weg zum Bahnhof. Es ist 17:00 Uhr und was sich auf den Straßen abspielt, ist die Rushhour. In den Straßen drängen sich die Menschen und Fahrräder. An der Bushaltestelle warten Massen. Ein Bus fährt einfach vollbesetzt vorbei. Endlich hält einer schon ein paar Meter vor der Haltestelle an. Damit werden die Leute gezwungen, zum Bus zu rennen. Die Masse wird etwas aufgelockert und das Gedränge ist nicht ganz so schlimm. Trotzdem kommt es zum massiven Einsatz der Ellbogen. Mit unseren schweren und großen Rucksäcken stehen wir fast auf verlorenem Posten. Ich schiebe Anita mit Gewalt in den vollen Bus und sage noch: „Wir sehen uns am Bahnhof!“ Da winkt mir die Schaffnerin schon, nicht mehr einzusteigen. Aber die Tür ist noch offen. Ich schiebe und drücke, die Tür geht zu – hinter mir! Wo meine Füsse sind, weiss ich nicht genau. Ich hänge mehr als dass ich stehe. Umfallen geht nicht in dem Gedränge. Erleichtert nach Luft schnappend steigen wir am Bahnhof aus.

30 Stunden Harte Klasse!

Wir sind spät dran. Der Zug steht schon auf dem Gleis. Trotzdem finden wir nach der Fahrkartenkontrolle schnell unseren Hardsleeper Wagen und unsere Betten. Die meisten Betten in unseren Abteilen sind von Frauen belegt. Als der Zug abfährt, holen sie ihr Strickzeug heraus und fangen an zu schwatzen und zu stricken. Ohne Vorlage entstehen bei ihnen ganz nebenher die kompliziertesten Zopfmuster.

Aus anderen Abteilen kommen noch weitere Frauen hinzu. Uns bleiben nur die Klappsitze auf dem Gang. Die Kinder aus dem Nachbarabteil stolpern ständig über unsere langen Beine. Ein kleines Mädchen ist besonders frech. Sie schubst uns beiseite und ärgert ständig ihren kleinen Bruder.

Einige deutsche und natürlich wieder schwedische Backpacker sind mit uns im Wagen. Auf diese Weise haben wir immer Unterhaltung. Unser Essen bekommen wir abermals in Pappkartons. Ein paar Flaschen Bier und der aus der immer vorhandenen Thermosflasche selbst aufgebrühte Tee erfrischen uns. Die Frauen bieten uns eingelegte Chili-Schoten zum Würzen des Reis an. Der Geschmack ist etwas eigenartig: leicht säuerlich und mit viel Knoblauch.

Im Hardsleeper 1987
Im Hardsleeper 1987

Nachdem wir endlich schlafen gegangen sind, sitzen die Frauen weiter zusammen und erzählen sich etwas. Auch als die Musik und das Licht ausgeschaltet werden, gibt es noch lange keine Ruhe im Hardsleeper. Ich wache nachts ein paar Mal auf, weil eines der Kinder schreit.

Ein langer Tag im Zug

Nach dieser unruhigen Nacht steht uns ein langer Tag im Zug bevor. Viel Abwechslung gibt es nicht. Wir unterhalten uns mit den anderen Travellern, schreiben Tagebuch und dösen vor uns hin. Wenn wir unsere Plätze im Hardsleeper auch nur kurze Zeit verlassen, sitzt sofort ein Chinese drauf. Dieses Spielchen geht den ganzen Tag. Aber bald haben wir es auch begriffen. Sobald ein Chinese seinen Sitzplatz verlässt, der bequemer scheint als unsrer, setzen wir uns um.

Hin und wieder hält der Zug auf einem Bahnhof. Bei längeren Stopps gehen wir auf dem Bahnsteig spazieren. Wie man erkennt, dass der Zug länger anhält? Nun, die Chinesen steigen nur dann in Ruhe aus, um sich an den Verkaufsständen etwas zum Essen zu kaufen. Außerdem schüttelt die Schaffnerin energisch den Kopf, sobald wir Anstalten machen, in einem Bahnhof den Zug zu verlassen, an dem kein langer Aufenthalt geplant ist.

Yangshuo Panorama
Unser Ziel: Guilin

Der Tag im Hardsleeper klingt aus

Die Landschaft ist eintönig, fast eine Wüste: kahle Berge ohne Wald. Der wüstenartige Eindruck entsteht durch die gelbe lehmige Erde, die überall ohne Bewuchs daliegt. Am Rande von kleinen Flüssen bringt Landwirtschaft etwas Grün in das gleichförmige Gelb. Schon am Nachmittag sehen wir die ersten typischen Karstberge, die das Gebiet um Guilin so berühmt gemacht haben. Wir sind aber noch Hunderte von Kilometern von Guilin entfernt. Wir dösen den ganzen Tag im Hardsleeper, mal sitzend, mal liegend. Bequem aber auch ein bisschen langweilig. Beim regelmäßigen Rütteln des Zuges klingt der Tag aus. Wir schlafen schnell ein. Doch die Nacht wird schon bald zuende sein.

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< Ausflug zum Steinwald Guilin: Pleiten, Pech, Pannen >
Ulrike
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