Winternotprogramm in Hamburg
Es ist wieder so weit: vom 1. November bis zum 31. März gibt es wieder das Winternotprogramm der Stadt Hamburg. Ziel ist es, mit zusätzlichen Schlafmöglichkeiten die Obdachlosen von den Straßen zu holen und ihnen im Winter ein warmes Bett zu bieten.
Seit Jahren beobachte ich, besonders damit vertraut durch meine ehrenamtliche Arbeit bei der Bahnhofsmission, die Entwicklung. Deshalb habe ich diesen älteren Artikel überarbeitet und den aktuellen Informationen angepasst.
Inhalt
Winternotprogramm 2019/20
780 (Stand Oktober 2019) zusätzliche Schlafplätze sind in Gemeinschaftsunterkünften und Wohncontainern als Schutz vor Erfrierung in frostigen Nächten eingerichtet worden. Die Übernachtung kann zumindest für die ersten Nächte anonym in Anspruch genommen werden und ist kostenlos.
Gemeinschaftsunterkünfte
2019 sind es hauptsächlich eine Möglichkeit für rund 400 Personen in der Friesenstraße (das ist nicht weit vom Bahnhof) und 250 Plätze in der Kollaustraße..
In Wohncontainern, die die Kirchen und andere Institutionen aufgestellt haben, können weitere 130 Menschen übernachten. Ende des Jahres werden bei Bedarf weitere Schlafplätze zur Verfügung gestellt. mehr
Wenn das alles nicht reicht, bin ich mir sicher, dass der Senat noch mehr Möglichkeiten finden wird, so wie in den letzten Jahren schon.
Ansprüche auf Sozialleistungen- die “üblichen” Obdachlosenunterkünfte
Natürlich bleiben auch die “üblichen” Unterkünfte in Hamburg, wie Pikas und Frauenzimmer, für Obdachlose geöffnet. Da in den letzten Jahren sehr, sehr viele Menschen von außerhalb die Unterkünfte genutzt haben – ja, es entstand ein regelrechter “NotTourismus” – hat man sich entschlossen, nur noch Menschen in diese Unterkünfte aufzunehmen, die einen Anspruch auf Sozialleistungen in Hamburg haben.
Da das mit einer Prüfung dieser Ansprüche zusammen geht, halte ich das für bedenklich. Denn viele Obdachlose sind auf niedrigschwellige Hilfe angewiesen, weil sie es anders gar nicht können. Behördengänge, Papiere vorzeigen? Dem sind manche Menschen nicht gewachsen. Verstärkte Beratungsmöglichkeiten sollen helfen.
Was passiert mit Menschen ohne Ansprüche?
In den Unterkünften des Winternotprogramms können alle am Anfang in akuter Not anonym unterkommen.
Für Menschen, die keinen Anspruch auf öffentliche Unterbringung haben, stehen ca. 100 Plätze in der Wärmestube Hinrichsenstraße zur Verfügung. Dort gibt es allerdings keine Betten. Man muss seinen Schlafsack auf dem Boden ausrollen.
Gerade für die Menschen von außerhalb soll eine Beratung über die Möglichkeiten erfolgen. Besonders für die Bedürftigen aus Südosteuropa gibt es die Anlaufstelle Plata. Dort werden ihnen Möglichkeiten aufgezeigt. Auch eine Rückfahrt ins Heimatland kann in Einzelfällen spendiert werden.
Was bieten diese Unterkunftsmöglichkeiten des WiNoPr?
Feldbetten, Duschen, heiße Getränke, manchmal Frühstück und Abendbrot. Es wird besonderen Wert auf eine Beratung gelegt, die in den Unterkünften stattfindet.
Allerdings gilt nach wie vor: Viele wollen nicht in „ummauerten Räumen“ sein, wollen sich nicht an die Regeln in den Unterkünften halten. In Deutschland ist es nicht möglich, jemanden gegen seinen Willen in ein Heim zu sperren oder seine freie Wahl des Aufenthalts einzuschränken. Das geht letztlich nur im äußersten Notfall, wenn jemand sich oder andere gefährdet.
Weitere Angebote für Obdachlose
An vielen Stellen in der Stadt können Menschen einen kostenlosen Kaffee oder auch eine warme Mahlzeit erhalten. Die Bahnhofsmission ist als ganz zentraler „Hoffnungsort“ dabei. Dort erhält jeder einen heißen Kaffee und kann sich auch mal eine halbe Stunde aufwärmen.
Doch dabei gibt es Einschränkungen: Die Bahnhofsmission ist keine Tagesaufenthaltstätte und auch keine Essensausgabe. Aber in der Bahnhofsmission kann man Informationen darüber erhalten, wo diese Tagesaufenthaltstätten sind und wo man etwas zu essen bekommt. Auch auf der Seite der Stadt Hamburg kann man mehr erfahren über Angebote: Tagestreffpunkte
Es gibt etliche Beratungsstellen und Sozialarbeiter, die sich um die kümmern, die Hilfe brauchen und wollen (!). Es gibt auch kostenlose ärztliche Sprechstunden, wo man ohne Krankenversicherung und anonym hingehen kann. Hoffnungsort
Bettler
Jetzt im Winter fühlt man sich wegen Weihnachten irgendwie mehr als sonst verpflichtet, seine Nächstenliebe zu zeigen. Da wandert der eine oder andere Euro in die ausgestreckte Hand eines der zahlreichen Bettler in der Innenstadt.
Auch die Bettlerbanden aus Südosteuropa sind immer noch da. Sie sind durch eine gewisse Familienähnlichkeit erkennbar und vor allem an den Krücken, auf die sie sich schwer stützen. Jeder hat immer nur eine Krücke, was aus medizinischer Sicht keinen Sinn macht. Wenn Ihr diesen Menschen etwas gebt, bedenkt bitte folgendes:
Es handelt sich um eine kriminell organisierte Bande. Die Bettler müssen das meiste Geld an einen Boss abgeben, der alles organisiert. Sie wissen genau, wo sie etwas zum Essen und preiswerteste Unterkünfte bekommen. Sie wissen auch, wo sie Bekleidung usw. erhalten können. Das bedeutet, dass sie hier in Hamburg kaum Ausgaben haben, andererseits aber kaum etwas sparen können, weil alles an den Boss abgegeben werden muss.
Siehe auch: Bettler
2020&21: Überblick über das Winternotprogramm jn Hamburg
Ihr könnt helfen!
Wenn Ihr obdachlosen Menschen helfen wollt, dann wendet Euch an folgende Stellen:
www.hamburg.de/obdachlosigkeit
oder
an die Bahnhofsmissionen, die es in jeder größeren Stadt Deutschlands direkt am Hauptbahnhof gibt. www.bahnhofsmission.de
Nicht nur im Winter nehmen wir, also die Bahnhofsmission in Hamburg, gerne Spenden an:
Warme Jacken
Pullover, Hosen
Schlafsäcke und Decken (aber keine Daunendecken)
Socken, Mützen, Schals
(Herren-) Schuhe ab Größe 41
Wenn Ihr aber davon ganz viel habt, dann solltet Ihr das besser zur Kleiderkammer bringen, da wir in der Bahnhofsmission Hamburg nicht viel Platz haben.
Muss ich noch extra erwähnen, dass die Sachen zwar gebraucht sein können, aber auf jeden Fall sauber sein sollten?
Kekse und Gebäck für die Weihnachtsfeier an Heiligabend sind willkommen. Zwischendurch freuen wir uns auch über Äpfel, Orangen und anderes Obst. Alles verteilen wir gerne an unsere Gäste.
Es gibt also viele Möglichkeiten, den Menschen zu helfen.
Wenn Ihr eine hilflose Person im Bereich des Hauptbahnhof Hamburg seht, dann könnt Ihr gerne in der Bahnhofsmission Bescheid sagen! Wir kümmern uns gerne! In allen anderen Fällen solltet Ihr keine Scheu haben, die 112 anzurufen. Hab ich übrigens auch schon gemacht! Wenn man das nicht tut, kann man sich der unterlassenen Hilfestellung schuldig machen.
Die Sanitäter, die schnell mit dem Rettungswagen kommen, wissen, was zu tun ist. Sie haben genügend Erfahrung, um hilflose Personen (auch Betrunkene oder unter Drogen stehende) zu mobilisieren und an helfende Stellen zu verweisen. Wenn alles nicht hilft, werden die Hilflosen ärztlich versorgt und in eine Notaufnahme gebracht. Auch ohne Krankenkasse.
Und wie sieht das anderswo aus? Hier ein interessanter Artikel aus Köln: Die Kölner Kältegänge
- Die Kreativität der Chinesen beim Umgang mit Vorschriften - 21. Februar 2021
- Mein seltsamstes Reiseerlebnis - 20. Februar 2021
- Das zottelige Yak, tibetisches Wollrind - 15. Februar 2021
Gerne!
Vielen Dank für deinen Artikel und die konkreten Tipps!
Das ist halt eine schwierige Frage. Einerseits ist es wohl eine moralische Verpflichtung, zu versuchen allen Bedürftigen irgendwie zu helfen, andererseits hat eine Stadt nicht unendlich viele Mittel.
In Wien ist es sich bisher irgendwie ausgegangen sowohl die einheimischen Obdachlosen als auch eine immer größer werdende Anzahl von Flüchtlingen zu versorgen, aber das System ist an seinen Grenzen angekommen
Ja, es gibt sicherlich genügend Einrichtungen. Aber ich frage mich, wie man das Wort “unfreiwillig” auslegen soll. Wenn es jemand aus welchen Gründen auch immer nicht schafft, die erforderlichen Unterlagen beizubringen (wie jetzt in Hamburg den Nachweis, dass er hier schon länger lebt und Anspruch auf Sozialleistungen hat), lebt der “freiwillig” auf der Straße?
Man wird sehen. Und ich werde berichten, wie es weiter geht.
LG
Ulrike
Ich bin Optimistin und denke, dass es in fast allen europäischen Großstädten genügend Einrichtungen gibt, die gewährleisten, dass niemand unfreiwillig im Winter auf der Straße übernachten muss. Aber vielleicht ist mein Optimismus nicht gerechtfertigt ….
Danke sehr!
Toller Artikel und auch schon verlinkt! Danke!
Hallo Ulrike, hier gerade fertiggestellt: http://landesblog-nrw-braucht-das.de/die-koelner-kaeltegaenge-ein-portraet/ Folgeartikel sind nicht ausgeschlossen 😉 VG Thilo
Das würde mich sehr interessieren. LG Ulrike
Sehr gute Übersicht von dir, Ulrike. Ein paar Kollegen und ich organisieren sonntags in Köln die sogenannten “Kältegänge” da nicht nur in der sehr kalten Zeit an Menschen o.f.W. gedacht werden sollte. Plane darüber auch noch einen Artikel auf einem anderen Blog. VG Thilo
Ich meine, ich hätte letztes Jahr einen Van (mit Polizisten o.Ä., erinnere mich nicht genau) rumfahren sehen, der Decken verteilt hat. Da geht sicher noch mehr!
Das würde mich auch interessieren! Hmm, hab ich mir noch gar keine Gedanken drum gemacht, wie das in China so ist.
Wow, ich weiß gerade nicht, ob ich mich freuen soll, dass so viele Betten bereitgestellt werden, oder schockiert sein soll, dass so viele Betten gebraucht werden …
Tolle Arbeit, die du da leistest! Ich wollte mich auch schon darüber informieren, wie das hier in Shanghai läuft. Vielleicht gibt es auch Organisationen, die man ein bisschen unterstützen könnte. Immerhin gibt es hier auch viele Obdachlose …
Danke! Ja, man kann auch ganz einfach helfen, ohne viel Geld. Zeit spenden mit einer ehrenamtlichen Tätigkeit. Gerade Arme und Obdachlose freuen sich, wenn sie merken, dass sie überhaupt wahrgenommen werden.
Find die Idee toll.
Es sollten viel mehr darauf aufmerksam machen und Leuten zeigen, wie man auch mit wenig helfen kann!
Darum geht es mir mit diesem Artikel nicht. LG Ulrike
Eine sehr lobenswerte Aktion. Allerdings bekämpft man damit lediglich die Auswirkungen der in Deutschland erschreckend schnell ansteigenden Armut, und nicht die Ursachen.