Die Taube in China – Geschichte, Zucht und kulturelle Bedeutung

Die Taube (chinesisch: 鸽子 gēzi) spielt in China seit Jahrhunderten eine bemerkenswerte Rolle – als Symbol des Friedens, als Haustier, in der Brieftaubenzucht und als Teil traditioneller Freizeitkultur. Während sie im Westen oft nur als Straßenvogel gilt, genießt sie in China ein hohes Ansehen und ist tief in der Kulturgeschichte verwurzelt.

Wutaishan Tauben

Historischer Überblick

Frühe Erwähnungen

Bereits in den vor-Qin-Zeiten wurden Tauben als Nahrungsquelle genutzt.

Die Domestikation von Tauben in China reicht mindestens 2.000 Jahre zurück. Schon in der Han-Dynastie (206 v. Chr.–220 n. Chr.) wurden sie in kaiserlichen Gärten gehalten. Archäologische Funde von Taubenknochen in Wohnsiedlungen aus dieser Zeit deuten darauf hin, dass sie nicht nur als Nahrung, sondern auch als Ziertiere dienten.

Symbolik im alten China

In der traditionellen chinesischen Symbolik steht die Taube für:

  • Frieden und Harmonie – ähnlich wie im Westen.
  • Treue und Langlebigkeit, da sie meist monogame Paare bilden.
  • Botschaft und Kommunikation – besonders in der Zeit vor moderner Postübermittlung.

In Gedichten der Tang- und Song-Dynastie wird die Taube häufig als Symbol für den Heimweg, Sehnsucht und familiäre Bindung erwähnt.

Weiße Tauben beim Schriftzeichenmuseum

Brieftauben und ihre Rolle

Die Kunst der Brieftaubenzucht

Ab der Yuan- und Ming-Dynastie (13.–17. Jahrhundert) verbreitete sich die Zucht von Brieftauben stark in Handelsstädten wie Beijing, Tianjin, Suzhou und Shanghai. Kaufleute nutzten sie, um Nachrichten zwischen entfernten Orten zu übermitteln – ein frühes Kommunikationsnetzwerk.

Die Chinesen waren unter den ersten, die systematisch auf Schnelligkeit, Orientierung und Ausdauer züchteten. Jede Region entwickelte eigene Taubenrassen, oft mit charakteristischen Federmustern oder Lauten.

  • In späteren Dynastien entstanden Bräuche wie das Freilassen von Tauben bei Festen, was in der Song-Zeit populär war.
  • Seit den Sechs Dynastien wurde die Taube als Symbol mit buddhistischen Bedeutungen verknüpft.

Militärische Nutzung

Während der Republikzeit (1912–1949) nutzte das Militär Brieftauben zur Nachrichtenübermittlung, besonders in Gebieten ohne Funkverbindung. Auch während des Zweiten Weltkriegs kamen chinesische Brieftauben in Geheimdienstaktionen zum Einsatz.

Laut Time wurden Tauben als „most secret weapon“ in China bezeichnet, da sie über lange Zeiträume als Nachrichtenübermittler dienten.

Zahme Tauben im Alltag

In chinesischen Städten sieht man oft zahme Tauben auf öffentlichen Plätzen, etwa am Tian’anmen-Platz in Beijing oder in Parks von Hangzhou und Chengdu. Viele Familien halten sie auf Hausdächern in speziell gebauten Taubenschlägen (鸽棚 gēpéng).

Tauben Wutaishan

Die Fütterung von Tauben gilt als friedliche Freizeitbeschäftigung, besonders bei älteren Menschen. Manche Besitzer erkennen ihre Tauben am individuellen Gefieder oder durch kleine Glöckchen am Bein.

Tauben mit Pfeifen (鸽哨 gēshào)

Ein einzigartiger Brauch ist das Anbringen kleiner Bambuspfeifen an den Schwänzen oder Rückenfedern der Tauben. Beim Fliegen erzeugen sie melodische Töne, die ganze Stadtviertel mit einem charakteristischen Summen erfüllen – ein Klang, der seit der Qing-Dynastie als Symbol für das Leben in Beijing gilt. Die Pfeifen werden oft kunstvoll geschnitzt und sind heute begehrte Sammlerstücke.

Ich habe schon 1988 in Peking diese pfeifenden Tauben gehört und gesehen. Zuerst war mir nicht ganz klar, was das war. Dann erinnerte ich mich, etwas darüber gelesen zu haben. Wie schön, dass solche Bräuche wieder möglich sind!

Bei Friedenszeremonien werden weiße Tauben traditionell freigelassen. In der modernen Malerei und Keramikkunst erscheinen sie als Sinnbild für Reinheit und Hoffnung.

In städtischen Parks stehen Tauben für Ruhe und Verbundenheit mit der Natur – eine wichtige Qualität im oft hektischen Alltag der Großstädte.

Tauben in Anyang

Zucht und Wettbewerbe

Heute ist die Taubenzucht (赛鸽 sàigē) ein weit verbreitetes Hobby in China. Millionen von Menschen beteiligen sich an regionalen und nationalen Wettbewerben, bei denen Schnelligkeit, Orientierung und Aussehen bewertet werden.

Es gibt offizielle Brieftaubenverbände, und große Städte wie Shanghai und Tianjin haben eigene Taubenvereine mit professionellen Trainingsanlagen.

Wirtschaftlicher Aspekt

Die Zucht edler Brieftauben ist ein lukratives Geschäft. Preisgekrönte Exemplare werden für hunderttausende Yuan verkauft. Internationale Auktionen, etwa in Belgien oder den Niederlanden, haben zu einer engen Zusammenarbeit chinesischer und europäischer Züchter geführt.

Vor allem in ländlichen Gebieten ist die Taubenzucht eine gute Einkommensquelle. In einem Dorf in Xinjiang etwa kann der Verkauf von wenigen Tauben bereits den Lebensunterhalt sichern.

Einige Regionen haben eigene Zuchtraditionen, wie z. B. der Shiqi Pigeon im Bezirk Shiqi, der Anfang des 20. Jahrhunderts durch Kreuzung mit importierten Rassen entstand.

Wettkämpfe & Leistungsrassen

Taubenrennen (Rennbrieftauben) sind sehr populär – Tauben werden über große Distanzen freigelassen und müssen zu ihrem Schlag zurückfinden. In Hebei etwa wurden 8.000 Tauben für ein Rennen freigelassen. Solche Wettbewerbe ziehen viele Enthusiasten an – nicht nur wohlhabende – und verbinden Freizeit mit sportlichem Ehrgeiz

Regulierung & gesellschaftlicher Druck

Mit dem wachsenden Markt für Taubenrennen und hohen Einsätzen tauchen auch Probleme wie illegales Glücksspiel und Diebstahl auf. Der Druck durch Stadtwachstum, Vorschriften und Umweltauflagen beeinflusst inzwischen die Haltung von Tauben in urbanen Gebieten.

China zählt zu den größten Produzenten von Taubenfleisch (Squab). Obwohl der Fokus oft eher auf Renn- und Zuchttauben liegt, spielt die Produktion eine Rolle in der Agrarwirtschaft. Die industrielle Aufzucht führt zu Herausforderungen in Tiergesundheit, Tierwohl und Marktstabilität.

Tauben vor dem Museum der Schrift in Anyang
Tauben vor dem Museum der Schrift in Anyang

LieblingsChinesisch

鸽子 • gēzi = die Taube

Das „Ge“ klingt wie der Ruf der Taube.

通信鸽 • tōngxìngē = Briefwechsel + Taube = Brieftaube

Die Taube als delikate Speise

Bereits in der Zeit vor der Qin- und Han-Dynastie galten Tauben als hochwertiges Nahrungsmittel. Im Kapitel „Köche“ der Rites of Zhou heißt es: „Köche verarbeiten insgesamt sechs Nutztiere, sechs Tiere und sechs Vögel.“ Xuan Zheng zitierte Zhong Zhengs Ausspruch: „Zu den sechs Vögeln gehören Wildgänse, Wachteln, Teichhühner, Fasane, Tauben und andere Arten.“

Es ist unter Gelehrten umstritten, ob Tauben zu den „sechs Vögeln“ der Zhou-Dynastie (zirka 1122/1045–770 v.Chr.) gehören. Sollten Zhengs Aussagen zutreffen, dürfte Taubenfleisch für die Adligen der Zhou-Dynastie eine Delikatesse gewesen sein.

Für die Essbarkeit von Tauben gibt es weitere Belege. Da Zhao erwähnt in den Liedern von Chu: „Das Gericht ist reich an gewürztem Fleisch. Der Koch mischt fünf verschiedene Gewürze, um es aromatisch zu machen. Es gibt saftiges Fleisch von Kranichen, Tauben und Schwänen sowie eine köstliche Brühe mit Schakalfleisch!“

Der Dichter nennt die Köstlichkeiten von Chu, um die Seelen der Verstorbenen anzulocken. Das hier beschriebene Szenario soll sich im Huaihe-Flussbecken ereignet haben. Taubensuppe gilt als repräsentative Delikatesse von Chu, ebenso wie frische Schildkröte, fettes Huhn, eingelegtes Schweine- und Hundefleisch, duftende Tees und knuspriger Gemüseportulak sowie gebratenes Geflügel und Fisch.

Eine buddhistische Legende

Die früheste chinesische Übersetzung buddhistischer Schriften, die die Geschichte vom Zerlegen von Fleisch zur Fütterung des Adlers detailliert beschreibt, ist das Sutra der Sechs Paramitas, übersetzt von Sheng-hui Kang im Königreich Wu während der Zeit der Drei Reiche. 

Der Kaiser des Himmels und den König von Yibiandi verwandelten sich in einen Adler und eine Taube, um die Tugenden des Geehrten zu prüfen. Die Taube wurde von dem Adler gejagt und warf sich dem Geehrten zu Füßen, in der Hoffnung, gerettet zu werden. Der Adler, unter dem Vorwand des Hungers, verlangte vom Geehrten, Fleisch vom gleichen Gewicht wie das der Taube abzuschneiden.

Der Geehrte war furchtlos, aber er konnte kein Fleisch schneiden, das so schwer war wie eine Taube. Er befahl seinen Ministern, ihn zu töten, sein Mark zu holen und es dann zu wiegen. Der Kaiser des Himmels sah, dass der Geehrte treu war und alles opferte, und er war tief bewegt. Er verwandelte sich in seinen ursprünglichen Körper zurück und erklärte den Plan.

Fazit

Die Taube in China ist mehr als ein gewöhnlicher Vogel: Sie ist ein Bindeglied zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Mensch, Natur und Kultur. Vom kaiserlichen Garten bis zum modernen Hochhausdach hat sie ihren festen Platz im chinesischen Leben behalten – als Symbol für Frieden, Treue und Heimatgefühl.

Quellen

Links

Ulrike

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