Noch immer wird dem Tempel von Unjusa viel zu wenig Beachtung gegeben. Der buddhistische Tempel ist sehr ungewöhnlich, seine Lage einzigartig. Als ich ihn 1991 besuchte, war ich die einzige Besucherin in dem stillen Gelände. Ich streifte duch den Wald, entdeckte die verstreuten Figuren und kleinen Pagoden. Mich beeindruckte auch der friedliche stille Wald, in dem hin wieder ein Vogel sein leises Lied zwitscherte.
Ein Ort voller Legenden und sonderbarer Skulpturen
Unjusa (운주사) ist nicht einfach ein Tempel – es ist ein kulturelles Rätsel, das tief in der Landschaft Südkoreas verborgen ist. Der Tempel liegt im Südwesten des Landes in der Provinz Jeollanam-do, nahe der Stadt Hwasun. Bekannt ist Unjusa vor allem für die Überreste von über 1.000 Buddha-Statuen und Steinpagoden, die über das Tempelgelände verteilt sind.
Die erhaltenen Statuen sind aus grobem Granit gefertigt und oft bewusst einfach gehalten. Einige liegen, andere stehen – viele zeigen ungewöhnliche Positionen oder Proportionen, was ihren mystischen Charakter unterstreicht. Besonders auffällig ist eine liegende Buddha-Statue von über 10 Metern Länge, die äusserst selten in Korea ist.

Die Legende von Doseon Guksa
Einer Überlieferung zufolge wurde der Unjusa-Tempel von dem berühmten buddhistischen Mönch Doseon Guksa (도선국사) im 9. Jahrhundert gegründet. Er soll versucht haben, durch den Bau von 1.000 Pagoden das energetische Gleichgewicht der koreanischen Halbinsel wiederherzustellen. Doch bevor der Bau vollendet werden konnte, brach die Nacht an, und die Arbeiten wurden abgebrochen. Die unvollendeten Pagoden und Statuen blieben als ewiges Zeugnis zurück.
Dagegen zeigen archäologische Untersuchungen, dass die meisten Steinstrukturen auf die frühe Goryeo-Zeit (10. bis 12. Jahrhundert) zurückgehen.
Grabungen, die zwischen 1984 und 1991 von der Chonnam National University durchgeführt wurden, bestätigen, dass die erhaltenen Statuen und Pagoden typologisch, stilistisch und technisch der Goryeo-Zeit zuzuordnen sind. Die Legende von den „1000 Buddhas und 1000 Pagoden“ dürfte also eine nachträgliche mythologische Überhöhung eines tatsächlichen Bauprogramms sein.
Archäologische Bedeutung des Unjusa
Ein zentrales Ergebnis der archäologischen Forschung ist die Annahme, dass Unjusa als Steinmetzschule oder Werkstattkomplex gedient haben könnte. Diese Theorie wird gestützt durch die außergewöhnlich hohe Anzahl unvollendeter oder sehr unterschiedlich ausgearbeiteter Skulpturen. Einige Figuren zeigen feine Details, andere wiederum sind grob behauen oder stilistisch naiv.
Diese große Bandbreite legt nahe, dass sich hier Lehrlinge und erfahrene Bildhauer gleichzeitig betätigten. Auch das Vorhandensein von unbearbeiteten Rohsteinen, Meißelspuren und abgebrochenen Werkstücken am Ort selbst untermauert die Hypothese eines Werkstattcharakters.
Stilistische Merkmale der Steinfiguren
- Gesichtsproportionen: Große Köpfe, breite Schultern, einfache oder stark stilisierte Gesichtszüge → Indiz für lokale Laien-Steinmetze oder Lehrlinge.
- Gewandfalten: Meist nur angeritzt oder gar nicht dargestellt – minimalistisch.
- Positionen: Stehend, sitzend, liegend; ungewöhnlich viele liegende Buddha-Statuen, was in Korea selten ist.
Die erhaltenen Buddha-Statuen und Pagoden weisen zudem architektonische und gestalterische Besonderheiten auf, die sich deutlich von den üblichen Stilrichtungen buddhistischer Tempel der Epoche unterscheiden. Viele Darstellungen wirken absichtlich monumentalisiert oder vereinfachend dargestellt, was entweder einem lokalen Stil oder der Ausbildungssituation geschuldet sein könnte. Besonders auffällig ist die große Zahl an liegenden Buddha-Statuen (Wabul), was in Korea eine Rarität darstellt.
Auch die Pagoden von Unjusa sind ungewöhnlich. Es handelt sich meist um Steinplatten, die ohne Mörtel gestapelt wurden, oft in geometrischen oder unregelmäßigen Anordnungen. Manche enthalten kleine Hohlräume, vermutlich zur Aufbewahrung von Reliquien oder Sutren, obwohl keine Funde dieser Art dokumentiert wurden. Einige Forscher vermuten in den geometrischen Mustern an den Pagoden symbolische oder kosmologische Bezüge, etwa zur Sterneinteilung des Großen Wagens oder zur geomantischen Energieverteilung im Gelände.
Anordnung der Figuren
Die Geomantie, eine alte asiatische Lehre von der harmonischen Platzierung von Landschaftsformen und Bauwerken im Einklang mit der Erde und ihren Energien, spielt auch im Kontext des Unjusa-Tempels in Südkorea eine bedeutende Rolle. Viele scheinen auf mysteriöse Weise angeordnet.
Die Aufstellung der Figuren über das Tempelareal hinweg scheint weder willkürlich noch klassisch axial, wie man es aus anderen Tempelanlagen kennt. Vielmehr wird angenommen, dass sie nach kosmologischen oder geomantischen Prinzipien ausgerichtet wurden. Diese These stützt sich unter anderem auf die Positionen der beiden riesigen liegenden Buddhas, die möglicherweise als Polachsen in einer symbolischen Landschaftsarchitektur dienten. Auch Verbindungen zur taoistischen Kosmologie oder zum einheimischen Schamanismus werden in der Forschung diskutiert.

Der Mönch Doseon galt als Meister der Geomantie. Er soll den Ort ausgewählt und die Bauwerke strategisch so platziert haben, dass sie die Energieflüsse der Erde – das sogenannte „Gi“ – ausgleichen und das spirituelle Gleichgewicht Koreas stärken. Die außergewöhnliche geomantische Anordnung der Statuen und Pagoden auf dem Tempelgelände zeugt bis heute von einem tiefen Verständnis dieser spirituellen Erdkräfte.

Die Frage, ob Unjusa jemals ein voll funktionsfähiger Klostertempel mit Mönchsgemeinschaft war oder eher ein spiritueller Ort des Lernens, der Meditation und der künstlerischen Ausbildung, bleibt bislang unbeantwortet. Es existieren keine überlieferten Schriften oder Urkunden aus der Entstehungszeit, die darüber Auskunft geben könnten. Dennoch ist Unjusa aufgrund der Fülle, Vielfalt und Eigenständigkeit seiner Steinmonumente eine der bedeutendsten archäologischen Stätten Koreas.
Heute sind viele der Figuren und Bauwerke als nationale Kulturgüter registriert. Die Stätte steht zudem auf der Tentativliste für das UNESCO-Weltkulturerbe. Wissenschaftler aus Kunstgeschichte, Archäologie und Religionswissenschaft betrachten Unjusa als außergewöhnliches Beispiel für eine lokal gewachsene buddhistische Tradition mit stark experimentellen und symbolischen Zügen, fernab der normierten Hofkunst der Goryeo-Zeit.
Offene Fragen und ungelöste Rätsel
- Warum gerade 1.000 Statuen und Pagoden? – Symbolik oder konkrete Zahl?
- Gab es hier wirklich eine Schule? – Keine urkundlichen Belege bisher
- War Unjusa ein Pilgerort, ein Werkcamp oder ein spirituelles „Labor“?
- Gab es Verbindungen zur königlichen Goryeo-Elite?
Warum ein Besuch lohnt
Unjusa unterscheidet sich stark von typischen koreanischen Tempeln wie Bulguksa oder Haeinsa. Hier findet man keine goldenen Hallen oder bunt bemalten Gebäude. Stattdessen erwartet Besucher ein fast mystischer Steingarten, der wie aus einer anderen Zeit wirkt.
- Spiritueller Rückzugsort
- Historisch-künstlerische Bedeutung
- Einzigartiger Ort für Fotografie und Meditation
Reisetipps für deinen Besuch in Unjusa
Tipp | Details |
🗺 Adresse | 550 Unjusa-ro, Doam-myeon, Hwasun-gun, Jeollanam-do, South Korea |
🚌 Anreise | Von Gwangju mit dem Bus nach Hwasun, dann Taxi oder Regionalbus |
🕰 Öffnungszeiten | Täglich 08:00–18:00 Uhr |
🎟 Eintritt | Ca. 3.000 KRW (etwa 2 Euro) |
🍂 Beste Reisezeit | Frühling (April–Mai) & Herbst (Oktober–November) |
🧳 Kleidung | Bequem, feste Schuhe – viele Pfade sind unbefestigt |
Quellen & Weitere Infos
- VisitKorea – Unjusa Official
- Korean Cultural Heritage Administration (CHA)
- Wikipedia: Unjusa
- Korean Tourism YouTube: Dokus und 3D-Ansichten von Unjusa
Literaturhinweise (auf Englisch)
- „Buddhist Sculpture of Korea“ – National Museum of Korea
- „Korean Art from the 5th to the 13th Century“ – Lee Bae-Yong
- “The Mystery of Unjusa” – Gwangju News (GIC, 2021)
Noch ein Tipp: Fotografiere mit Drohne oder Panorama
Das weite Tempelgelände eignet sich perfekt für Panorama- oder Drohnenaufnahmen – besonders bei Sonnenauf- oder untergang entfalten die Skulpturen ihre magische Wirkung. Diesen Tipp habe ich von einem Freund. Probiert es mal aus!
Links
- Mein alter Reisebericht zum Unjusa
- Reiseberichte Asien 1991/92
- Meine Freundin Ulli und Südkorea
- Famen Tempel in China
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