27.07.1992 Xi’an: Backpacker-Leben

Zuletzt aktualisiert vor 11 Monaten

In Xi’an 1992 warten wieder so richtig typisch chinesische Abenteuer auf mich. Xi’an ist nett aber frustrierend. Ich bin die speziellen Eintrittspreise für Ausländer satt. So satt! Als mir sogar ein einfacher Limonadenverkäufer das Dreifache vom Normalpreis abverlangt, ist das Mass voll!

Ich bin frustriert und auch deprimiert, weil es nun eindeutig bald nach Hause geht. Die Erfahrungen, die ich bei der Reparatur meines Objektivs mache, tragen nicht zu meiner Laune bei. Spannend ist der Besuch eines Fotoateliers. Die meiste Zeit hänge ich in den Backpacker-Restaurants ab, überlege, was ich in den wenigen Wochen bis zur Abfahrt ab Peking machen soll. Die vielen Möglichkeiten behindern eine konkrete Entscheidung. Dazu ist es schier unerträglich heiß. Zu einem dritten Besuch der Terrakotta-Armee habe ich keine Lust. Ein Lichtblick ist das Wiedertreffen mit Guido. Die Backpackerwelt scheint klein.

Xi'an Provinzmuseum
Xi’an Provinzmuseum

2015: Das Thema „Extra hohe Eintrittspreise für Ausländer“ hat sich mittlerweile erledigt. Man zahlt als Tourist die gleichen Eintrittspreise bei Museen und Sehenswürdigkeiten. Für Einheimische gibt es manchmal Ermäßigungen oder preisgünstige Jahreskarten. Auch die Ausländerwährung FEC gibt es nicht mehr.

Aus meinem Reisetagebuch 1992

Xi’an 1992: Tolle Männer im Hostel!

Als ich am späten Vormittag in Xi’an ankomme, ist es wieder ziemlich warm. Ich fahre mit dem Bus zum Traveller-Hotel südlich vom Zentrum. Nach ungefähr einer Stunde geduldigem Warten und einigen Diskussionen mit den Leuten am Empfang bekomme ich endlich ein Bett im 4-Bett-Zimmer. Die Toiletten sind am anderen Ende des Ganges. In dem kleinen Zimmer stehen 4 ordentliche, saubere Betten, mehr nicht. Warme Duschen gibt es nur zwei Stunden am Abend in einem Hinterhaus. Im Laufe des Abends lerne ich meine Mitbewohner kennen: 3 junge Männer, einer schöner als der andere! Groß, dunkelhaarig, gut gebaut. Ein Belgier, ein Neuseeländer und ein Australier.

Mit dem Neuseeländer gehe ich am Abend in einem der kleinen Restaurants, die sich hier auf Rucksackreisende spezialisiert haben, essen. Wir unterhalten uns sehr nett, bis sich ein anderer Neuseeländer zu uns setzt. Von diesem Augenblick bin ich Luft für die beiden. Chauvis!!!

Ich kehre früh zurück zum Hotel, denn ich möchte endlich duschen. Das erfordert ein großes Maß an Organisation. Ich muss mir frische Wäsche, Handtuch, Seife und Shampoo mitnehmen. Dann heißt es Schlange stehen, denn alle wollen jetzt duschen. Überall hängen Hinweise auf Englisch, dass man nicht so viel Wasser verbrauchen soll, da in Xi’an eine große Trockenheit herrscht und das Wasser knapp wird. Andererseits tropfen alle Wasserhähne ständig und die Toiletten werden mit dem Schlauch gereinigt.

Nudelshop
Nudelshop

Den ersten Tag in Xi’an 1992 hänge ich komplett im Restaurant ab, schreibe Tagebuch, lese und gebe mich ganz dem Austausch mit anderen Backpackern hin. Ich gehe kurz zum GPO, wo ich nicht sehr viel Post vorfinde. An einem Stand vor dem Eingang zur Post will ich mir eine Limonade kaufen. Doch der Händler verdreifacht den Preis, kaum dass er mich sieht. Verärgert lasse ich den Mann mit seiner Limonade stehen. Ich will mich von den teuren Touristenpreisen nicht tyrannisieren lassen.

Am Abend treffe ich Guido wieder! Er spaziert einfach am Restaurant vorbei, vor dem ich an einem der wackeligen Tische sitze. Ich rufe ihn und wir feiern Wiedersehen. Wir tauschen unsere Abenteuer aus, die wir in der Zwischenzeit erlebt haben. Gemeinsam bummeln wir durch das Muslim-Viertel, wo man so leckere Nudeln essen kann. Aber Guido bleibt nicht lange und reist am nächsten Tag weiter nach Shanghai.

Mein kaputtes Objektiv

Ich habe im Zentrum einige Fotogeschäfte gesehen. Das nährt in mir die Hoffnung, dass man in einem mein kaputtes Objektiv reparieren kann. Ich frage in einigen Geschäften nach. Doch die meisten sagen, dass sie es nicht können. Endlich finde ich einen kleinen Laden, wo man mir nach eingehender Begutachtung meines Fotoapparates sagt, dass man das Objektiv reparieren kann. Ich lasse meine Kamera mit einiger Skepsis zurück.

In der Innenstadt von Xi’an wird überall gebaut und renoviert. Ein ganzes Stadtteil entsteht im alten Stil neu. Hier sollen einmal Souvenirläden und Restaurants für die Touristen sorgen. Etwas lustlos wandere ich durch die Straßen. Die Eintrittspreise für Touristen in den Museen sind extrem hoch. Ich ärgere mich sehr darüber. Ich bin deprimiert, weil ich bald nach Hause fahren muss. In weniger als zwei Monaten werde ich wieder in Deutschland sein.

Xi’an bringt neben der Wasserknappheit alle Probleme der Großstadt mit sich: Dreck und Lärm. Meine Fingernägel sind ständig schwarz. Am liebsten möchte ich mich zweimal am Tag duschen, auch wegen der Hitze. Doch es gibt nur abends Wasser.

Als ich meine Kamera abholen will, kann ich gerade noch beobachten, wie der Mann dieGummihülle über das Objektiv zieht: die Schweißnaht ist deutlich zu sehen. Er hat mein Objektiv aufgeschnitten, um die Linsen wiederzurechtzurücken!!!! Dabei gibt es vorne doch kleine Schräubchen, damit man das Objektiv öffnen kann! Es tut mir richtig weh, zu sehen, wie meine Kamera misshandelt wurde. Doch das Objektiv lässt sich wieder drehen und fokussieren. Ich bezahle schweren Herzens die paar Yuan für die Reparatur. Hoffentlich funktioniert es wirklich! Von außen ist jetzt nichts mehr von dem Eingriff zu sehen.

Im Shaanxi Provinzmuseum

An einem Tag fahre ich mit dem Bus zum neuen modernen Shaanxi Provinz Museum. Ich bezahle zähneknirschend ein unglaublich hohes Eintrittsgeld. Dann betrete ich die hohen Hallen mit gutausgeleuchteten Vitrinen. Alle Stücke sind schön und sauber präsentiert, was nicht überall in China der Fall ist. Ein Raum ist dem erst kürzlich ausgegrabenen Grab einer Fürstin gewidmet. Die Grabbeigaben bestehen aus Lackdosen, Seidenstoffen und Jadeornamenten. Wirklich alles sehr schön!

Doch es gibt nicht eine einzige englische Erklärung. Alles ist ausführlich in Chinesisch beschrieben, aber ich kann gerade mal die Jahreszahlen erkennen. Da wir Westler wesentlich mehr Eintritt zahlen als die Einheimischen, empfinde ich es als sehr ärgerlich, dass dafür nicht ein bisschen Service geboten wird. Ich verstehe, dass man das Geld braucht, um ein solch gutes Museum zu unterhalten. Aber ich finde es zu teuer, wenn ich so viel wie für den Louvre bezahle und dann nicht einmal verstehe, was dort ausgestellt ist.

Abseits der Touristenpfade

Nicht weit entfernt gibt es die Reste einer weiteren Stadtmauer, die der eigentlichen Mauer vorgelagert war. Diese Mauer ist ein mehr oder weniger mit Bäumen bewachsener Wall, an dem dicht gedrängt aus Lehm gebaute gelbe Bauernhäuser stehen. In den Höfen scharren die Hühner im Dreck. Ein Hahn kräht. Wie finde ich nur den Weg zu dem Tempel, den es hier laut meinem Stadtplan geben soll? Ein Mann, der in einem Garten am Wall arbeitet, sieht, dass ich an der Straße stehe und mich suchend umgucke.

Da winkt er mir freundlich zu: ich soll zu ihm hochkommen. Als ich mich ihm nähere, sehe ich, dass es auf dem Wall einen schmalen Trampelpfad gibt. Der Mann nickt mir zu und zeigt nach Osten. Wahrscheinlich gibt es hier nur eines, was eine Touristin sehen will, nämlich den Qinglong-Tempel. Der Weg führt durch die Hinterhöfe, an einer Stelle sogar mitten durch einen Kuhstall. (Anm. 2015; Ob es diese ländliche Idylle heute noch gibt, bezweifle ich)

Eigentlich sieht auch der Qinglong-Tempel aus wie alle anderen chinesischen Tempel. Wahrscheinlich bin ich ein wenig abgestumpft. Doch ich freue mich an dem warmen Sonnenschein und an der Ruhe der dunklen menschenleeren Hallen. Hier verirren sich wohl sehr selten Touristen hin. Nur der träge aufsteigende Rauch der Räucherstäbchen zeugt davon, dass manchmal ein Mensch hierher kommt. (Anm. 2015: Der Qinglong-Tempel -Tempel des Grünen Drachen – führt seine Ursprünge bis in die Tang-Dynastie zurück. Doch er wurde vor rund 1000 Jahren zerstört. Was man heute sieht ist der 1963 wieder aufgebaute Tempel. Das japanische Aussehen ist bewusst gewählt, denn der Tempel wurde von japanischen Mönchen gegründet und ist dem Andenken an den japanischen Mönch Kukai gewidmet)

Ein weiterer Ausflug führt mich zum Stelenmuseum, dem ehemaligen Provinzmuseum, das in einem alten Tempel dicht an der Stadtmauer untergebracht ist. Wieder zahle ich einen überhöhten Eintrittspreis, den die verstaubten und schlecht beleuchteten Ausstellungen nicht wert sind. Natürlich gibt es auch hier keine englischen Erklärungen. Dafür finde ich ein Beschwerdebuch, in das ich meinen Frust über hohe Eintrittspreise und schlechte Ausstellungen hinein schreibe.

Im Muslim-Viertel 1992
Im Muslim-Viertel 1992

Im Fotostudio

Für meine Visa muss ich mir Passfotos besorgen. Als ich beim Glockenturm im lebhaften Zentrum Xi’ans ein großes Fotoatellier sehe, gehe ich spontan hinein. Ich werde von einer jungen Dame freundlich empfangen, man versteht auch mein Anliegen und schickt mich die Treppe hinauf. Aber ich finde das kleine Studio nicht sofort und gerate im zweiten Stockwerk in eine große Halle, die offensichtlich zur Aufnahme von Hochzeitsgesellschaften bestimmt ist.

Hier wimmelt es von stark geschminkten jungen Chinesinnen im weißen Brautkleid. Dazwischen laufen Frauen hin und her, Männer rufen durcheinander. Scheinwerfer strahlen. Eine Wand ist mit einer poetischen toskanischen Landschaft bemalt als Hintergrund für die Fotos. Ich werde kurz angebunden wieder nach unten geschickt.

Noch ein großes Studio! Hier werden anscheinend die Bräutigame hergerichtet fürs Foto. Auch sie werden ein wenig geschminkt und die manchmal zu großen Leihanzüge und Smokings enger gesteckt. Ich schaue sprachlos auf das bunte Durcheinander, bis mich eine junge Frau an der Hand nimmt und mich in ein kleines Büro auf halber Treppe bringt. Hier gibt mir ein junger Mann kurze und präzise Anweisungen. Meine Brille scheint nicht gut genug. Jedenfalls wird mir eine andere, etwas größere gereicht. Schließlich ist der Fotograf zufrieden. Es blitzt und kurze Zeit später habe ich meine schwarzweißen Fotos in der Hand. Ich finde, dass ich ein wenig fremd aussehe: ein schmales Gesicht mit schulterlangen Haaren schaut mich lachend aus dem Foto an..

Pläne für die Weiterreise

Abends sitze Ich noch lange an einem Tisch vor dem Restaurant und überlege, wie meine weitere Strecke aussehen soll. Ich fühle mich ein wenig unentschlossen. Soll ich über Luoyang (Buddhistische Tempel und Grotten) nach Beijing und von dort aus nach Qingdao an der Küste? Ich muss drei Wochen vor Abfahrt der Transsib in Beijing sein, um meine Buchung zu bestätigen, mein Ticket zu bezahlen und die Visa für Russland und die Mongolei zu besorgen.

Also bleibt mir nicht mehr viel Zeit. Ich entschließe mich endlich dazu, mit dem Zug nach Kaifeng, einer alten Kaiserstadt, zu fahren. Von dort sind es nur relativ kurze Fahrten nach Qufu, der Stadt des Konfuzius, und weiter zum Taishan, einem heiligen Berg der Daoisten.

Nachdem ich mir ein Ticket für den Softsleeper – eines für den Hardsleeper bekomme ich nicht und meine Lustlosigkeit verzieht sich bei dem Gedanken an eine komfortable Zugfahrt – nach Kaifeng gekauft habe, bummele ich noch einmal durch die Gassen des Hui-Viertels. Als Andenken kaufe ich mir ein paar Buttons mit Mao und eine kleine rote Mao-Bibel.

Tempel der Acht Unsterblichen

Eine letzte Besichtigung in Xi’an 1992 führt mich zum großen daoistischen Tempel (Tempel der Acht Unsterblichen) außerhalb der Stadtmauer. Auf dem Weg dorthin komme ich an einem mächtigen Stadttor vorbei. Diese riesige Befestigungsanlage mit den kleinen Schießscharten ist sehr beeindruckend. Leider ist sie abgesperrt. Neugierig schaue ich durch die Gitter in den Hof der Anlage. Zwischen den Steinplatten sprießt Gras und von den Schießscharten fliegen Schwalben durch die warme Luft.

Daoistischer Tempel
Daoistischer Tempel

Erstes Anzeichen dafür, dass ich mich einem Tempel nähere, sind die vielen Straßenverkäufer, die Kerzen, Räucherstäbchen und Plastikblumen verkaufen. Dann stehe ich in dem großen Gelände des Tempels. Alles ist in Grau, Weiß und Schwarz gehalten. Einige Teiche mit Bambus, ein paar alte Kiefern. Blank geputzte Steinplatten in den Höfen.

In einer Halle werde ich von ein paar jungen Mönchen angesprochen. Einer spricht sogar ein wenig Englisch. Die jungen Männer sehen recht seltsam aus. Ihre langen Haare sind zu einem Knoten auf dem Kopf geschlungen. Sie tragen graue Hosen, schwarze Stoffschuhe und einen schwarzen Umhang oder eine schwarze Jacke. Sie sind sehr fröhlich und lachen viel. Der junge Mann, der Englisch spricht, erzählt, dass er 25 Jahre alt ist und seit 5 Jahren im Tempel lebt. Er ist ganz begeistert von seinem Leben hier. Ich bin sehr beeindruckt. Leider reichen mein Chinesisch und sein Englisch nicht für eine tiefer gehende Unterhaltung.

Mit dem Bus fahre ich in die Stadt zurück. Ein letztes Mal frage ich im GPO nach meiner Post. Es ist nichts mehr gekommen. Dann rufe ich meine Eltern an. Die freuen sich, mich mal wieder zu sprechen. Mein Paket aus Kathmandu ist endlich angekommen. Ich bin begeistert! Abends treffe ich im Hotel Adrian, den Holländer aus Jiayuguan, und die Fahrradfahrer aus Dunhuang wieder. Wenn sie in der gleichen Zeit wie ich nach Xi’an gelangt sind, müssen sie ziemlich schnell gefahren sein. Ich bezweifele, dass sie dabei von China wirklich viel gesehen haben.

Im Vierbettzimmer

Die letzte Nacht in Xi’an wird ziemlich anstrengend. Es ist so heiß, dass ich am liebsten ohne Decke und am allerliebsten nackt schlafen möchte. Da ich mit drei gutaussehenden Männern das Zimmer teile, habe ich mich schon die gesamte Zeit bemüht, mich mit einem Laken zuzudecken und mich nachts auch nicht freizustrampeln.

Jetzt ist ein junger Hongkong-Chinese eingezogen, der mir gleich eine Reihe unangenehmer Fragen stellt: Warum ich mit Männern in einem Zimmer schlafe. Ob ich Angst habe, dass mir etwas gestohlen wird. Ob ich wirklich darauf vertraue, dass mein Rucksack nicht angetastet wird. Ich sage ihm energisch, dass ich sowieso keine Wertsachen mit mir rumschleppe.

Aber ich verschließe meinen Rucksack in dieser Nacht mit meinem kleinen Vorhängeschloss und binde ihn mit der dünnen Kette, die ich noch aus Kathmandu habe, an meinem Bett fest. Die Hitze und dieser merkwürdige Mann lassen mich kaum zur Ruhe kommen. In dieser Nacht regnet es heftig, was aber keine Abkühlung bringt, sondern die Luft noch feuchter und unerträglicher macht.

Am nächsten Morgen sehe ich gleich nach dem Aufwachen, dass der Hongkong-Chinese nur knapp einen Meter von mir entfernt seine Fußnägel schneidet. Er ist ganz erstaunt, als ich ihn bitte, dies doch im Waschraum zu tun. Irgendwie erleichtert packe ich schließlich meinen Rucksack und gebe ihn an der Rezeption zur Aufbewahrung, bis ich zu meinem Zug muss, der am späten Nachmittag fährt.

Wie alles begann

Ulrike
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