Alte Bäume, stark im Zentrum des Lebens

Bäume sind Heiligtümer. Wer mit ihnen zu sprechen, wer ihnen zuzuhören weiß, der erfährt die Wahrheit. Sie predigen nicht Lehren und Rezepte, sie predigen, um das Einzelne unbekümmert, das Urgesetz des Lebens. Ein Baum spricht: In mir ist ein Kern, ein Funke, ein Gedanke verborgen, ich bin Leben vom ewigen Leben.“ Hermann Hesse

Breklum Buche

Die Dorflinde

Unter den Bäumen ist die Dorflinde in Zentraleuropa zu besonderer Bedeutung gelangt. Vor allem in Zeiten, wo die meisten Kleinstädte und Dörfer weder Rathaus noch Gerichtssaal hatten. Auch andere Versammlungsräume suchte man häufig vergeblich.

Also kam man schon im Neolithikum auf die Idee, sich unter Bäumen zu versammeln. Vielleicht auch schon früher. Aber es ist schwer, solche Bäume nach so langer Zeit nachzuweisen.

Schon der römische Geschichstsschreiber Tacitus (* um 58, † um 120) schrieb, dass die Wälder für Germanen heilig seien. Die heiligen Haine waren für sie natürlich gewachsene Tempel höherer Mächte, Zentren spiritueller Erfahrungen und Wohnorte heilkräftiger Pflanzen und Tiere.

Über den Baumkult der Germanen berichtet Tacitus: „Übrigens finden sie es unvereinbar mit der Erhabenheit des Himmlischen, die Götter in Wände einzuschließen und sie den Zügen des Menschenantlitzes nachzubilden – ihre Wälder halten sie heilig, und mit Götternamen rufen sie jenes ferne, unschaubare Wesen, das nur ihrer frommen Schauder sieht.“ (Germania X-XIX)

Die Germanen verehrten die Sommerlinde als der Göttin „Freya“ geweihten Baum. Sie war die Göttin der Liebe, des Glücks und der Fruchtbarkeit. Ihnen galten die Bäume als Sitz guter Geister.

In der Antike wurde unter einer Linde der Liebesgöttin Aphrodite geopfert. Die Germanen verehrten Freya. Später sind dann aus den vielen Freya-Linden die Maria-Linden
geworden.

Dorflinde

Überall wird von dem feinen Duft der Blüten geschwärmt. Die Äste und Blätter spenden sanften Schatten. So sollen Sanftmut und Weisheit unter den Bäumen gefördert werden.

Als das Christentum immer wichtiger in Zentraleuropa wurde, gingen die Mönche mit brachialer Gewalt gegen die Bäume vor. Aber es nutzte nichts. Das Volk blieb den Bäumen weiterhin verbunden.

„Ich verstehe nicht, wie man an einem Baum vorübergehen kann, ohne glücklich zu sein.“ Fjodor Dostojewskij

Die Tradition des Tanzbaums

Aus dem zentralen Versammlungsbaum wurde der Tanzbaum. Somit hatte er nichts mit religiösen Dingen zu tun und konnte Zentrum des lokalen Vergnügens sein.

In manchen Orten wurde sie sogar zum „Tanzsaal“ umfunktioniert – die weit ausladenden Äste der „Tanzlinde“ wurden – oft über Jahrzehnte hinweg – zu waagrechten Astkränzen geformt. Darüber wurden Bretter gelegt; dazu Geländer, Leitern und stützende Pfosten – und der Tanzsaal im Freien war fertig.

„Schon um die Linde war es voll und alles tanzte schon wie toll!“ schrieb schon Goethe.
Erhalten sind noch eine Tanzlinden in Limmersdorf bei Bayreuth und eine in Schenklengsfeld in der Nähe von Bad Hersfeld. Eine sogenannte „Apostellinde“, bei der zwölf Äste (12 Apostel) einer Linde künstlich in die Breite gezogen und die weit ausladenden Äste mit Säulen gestützt wurden, schmückt noch heute die Ortsmitte in Effeltrich bei Erlangen.

Satemin

Der Maibaum

Auch heute noch ist der Maibaum liebe Tradition. Die Gemeinschaft tanzt ausgelassen um den geschmückten Baumpfahl.

Wie mit vielen heidnischen Bräuchen geschehen, vermischte sich beim Maibaum im Laufe der Jahrhunderte heidnisches mit christlichem Brauchtum. Denn nach einem überlieferten Bericht aus der Eifel gab es im 13. Jahrhundert in einigen Orten einen Pfingstbaum. Ebenfalls wird auch heute noch in Thüringen an etlichen Orten ein so genannter »Maien« zu Pfingsten gesetzt. Zudem wird der Maibaum in einigen Gegenden auch als »Marienbaum« bezeichnet.

Die heutige Form des Maibaums, ein hoher Stamm mit belassener grüner Spitze und Kranz, ist seit dem 16. Jahrhundert überliefert. Ab dem 19. Jahrhundert kam er dann auch als Ortsmaibaum für die selbstständigen Gemeinden auf.

Tanz unterm Baum

Das sagt der Duden:

Das Substantiv „Maibaum“ kann verschiedene Bedeutungen haben. Unter anderem bezeichnet es ein Birkenbäumchen oder Birkengrün, das zu Maifesten als Schmuck am Türpfosten des Hauses angebracht wird.

In einer anderen Bedeutung ist der „Maibaum“ Teil eines alten Brauches in überwiegend südlichen Regionen Deutschlands und zum Teil in Österreich. Dort wird am Abend vor dem 1. Mai ein hoher Baum ohne Rinde und Äste aufgestellt, an dessen Spitze ein mit bunten Bändern geschmückter Tannenkranz hängt. Im gehobenen Sprachgebrauch kann dieser auch „Maienbaum“ genannt werden.

Die Gerichtslinde

Aus den Gerichtsverhandlungen auf dem Dorfplatz entwickelte sich die Gerichtslinde. Klar, dass die Leute, wenn sie sich versammelten, auch Verbrechen besprachen. Schon bei den Germanen galt es als schwerer Frevel, wenn jemand unter dieser Linde die Unwahrheit sagte, weil diese Bäume der Freya geweiht waren.

In einem alten Protokoll ist die Rede von einem Gericht „uff de Wurth“, und damit ist der Platz vor der Kirche gemeint. Damit dürfte historisch abgesichert sein, dass auch in nachgermanischer Zeit über Jahrhunderte hin an dieser Stelle Gericht gehalten wurde.

Als Thing oder Ding (altnordisch und neuisländisch þing, dänisch, norwegisch und schwedisch ting; oberdeutsch auch Thaiding von ahd. taga-ding) wurden Volksversammlungen (Volksthing) und Gerichts­versammlungen nach germanischen Rechten bezeichnet.

Der Ort oder Platz, an dem eine solche Versammlung abgehalten wurde, wird Thingplatz oder Thingstätte genannt und lag häufig etwas erhöht oder unter einem Baum (Gerichtslinde), jedoch immer unter freiem Himmel. Die Orte dieser Gerichtsversammlungen wurden später auch Malstätte bzw. Malstatt genannt und mit Gerichtssteinen gekennzeichnet (siehe auch: Mader Heide).

Wikipedia

Eine Sonderform ist wohl der Galgen, der aber im Gegensatz zur Gerichtslinde außerhalb des Ortes aufgestellt wurde.

Ein sehr schönes Beispiel für eine Gerichts und Versammlungseiche findet sich in England: The Allerton Oak

Geschichten und Legenden

Unzählinge Mythen, Legenden und Sagen ranken sich um die Bäume.

Die Dorflinde von Höhenrain

Zwei Höhenrainer Burschen hatten sich damals die Fahne vom Pfarrer Wimmer ausgeliehen. Die SA forderte die Missetäter per Anschlag auf, die Fahne wieder abzunehmen, was diese aber – gedeckt durch die ganze Bevölkerung – nicht taten. Versuche der SA, die Fahne selbst zu entfernen, schlugen fehl. Der Baum war damals schon zu hoch. Es bedurfte einiger flinker Hitlerjungen, um sie schließlich nach Tagen zu entfernen.

Heute wird die Linde bereits von einigen Stahlseilen gestützt. Vorbei sind allerdings die Zeiten, als sich – wie die Höhenrainer Chronik berichtet – hier nach dem sonntäglichen Kirchgang die Männer des Dorfes trafen, um über die Ereignisse der Woche zu ratschen. Die Frauen mussten damals währenddessen nach Hause gehen, das Essen zubereiten und durften sich nicht auf der Bank, die damals noch um den Baum gebaut war, niederlassen.

Blätter des Lindenbaums

Kasberger Linde

Eine besonders alte Linde, für die recht verlässliche Informationen über ihre einstige Funktion (aber auch zahlreiche Mythen) vorliegen, ist die Kasberger Linde, auch Kunigundenlinde oder Franzosenlinde genannt. Sie befindet sich am westlichen Ortsrand des Dorfes Kasberg, das heute zur Stadtgemeinde Gräfenberg gehört. Der Sage nach soll Kaiserin Kunigunde (die Gemahlin von Kaiser Heinrich II.) diese Linde selbst gepflanzt haben, wenn dies zuträfe, besäße sie heute ein Alter von über 1000 Jahren.

Gerichtslinde

Sicherer belegt als das Alter ist allerdings für die Linde, dass sie bis ins Spätmittelalter Ort für Gerichtstage war, wo z. B. der Auerbacher bzw. der Sulzbacher Landrichter Streitfälle verhandelt haben. Jüngere Mythen ranken sich seit den Napoleonischen Kriegen um die Linde, deshalb auch der Name „Franzosenlinde“. Sie soll darüber hinaus als Tanzlinde gedient haben, wobei sich an Festtagen bis zu sechs Paare im Hohlraum der Linde drehen konnten. In der Krone soll auch eine hölzerne Tanzplattform installiert gewesen sein.

Die Blutlinde von der Schaumburg

Blutlinde zu Schaumburg

Natürlich darf die 600 Jahre alte Blutlinde aus meiner alten Heimat Schaumburg nicht fehlen. Sie steht vor der alten Burg auf dem ehemaligen Thingplatz, dem Ort der gräflichen Gerichtstage. Auch die Hexenprozesse im Mittelalter fanden hier statt.

Aus dieser Zeit stammt die Legende, dass eine junge Frau, verurteilt zum Tod auf dem Scheiterhaufen, gesagt haben soll:

„So wahr dieses Lindenreis, das ich hier pflanze, grünen und blühen wird, bin ich unschuldig!“

Die Dorflinde von Effeltrich

Die Dorflinde von Effeltrich, oft auch „Tausendjährige Linde“ genannt, befindet sich im Zentrum des Dorfes, unweit der Wehrkirche.Sie war in der Vergangenheit wohl Ort für Gerichtsverhandlungen, Versammlungsort und im 19./20. Jahrhundert Tanzlinde bei Festveranstaltungen, besonders bei den sog. Mondscheinnächten mit Gesang und Musik. Bis 1950 war die Fläche unter der Linde auch eine Art Biergarten, wurde man doch dort vom nahen Gasthaus aus mit Brotzeit und Getränken bedient.

Diese und weitere Geschichten findest Du auf Landschaften in Deutschland

Dorflinde digital

Durch das hessenweite Programm „Digitale Dorflinde“ kann nun künftig auch auf dem Marktplatz in Biedenkopf kostenlos gesurft werden. Der öffentliche WLAN-Hotspot hat am 10. September 2018 seinen Betrieb aufgenommen.

Dorfbäume in China und anderswo

„Wer einen Baum pflanzt, wird den Himmel gewinnen.“ Konfuzius

Ich habe auf meinen Reisen immer wieder erlebt, welch bedeutende Rolle Bäume spielen. In Südkorea bin ich am Chirisan-Nationalpark auf einige Dörfer gestoßen, bei denen ein mächtiger alter Baum im Zentrum stand, manchmal von einer Bank umgeben.

Auch in China habe ich solche alten Bäume gesehen. Natürlich waren es keine Linden. So steht der Maulbeerbaum (桑 sāng) für die Heimatstadt.

Dorfbaum in Zhangbi China
Zhangbi in China

Der Gelehrte Liu Zongyuan (柳宗元 *773 in Yongji; † 819 Liuzhou) schrieb geplagt von Heimweh: „Was bringt ein Vogel aus meiner Heimatstadt hierher? Sang- und Zi-Bäume kamen mir in den Sinn.“

Auch im Buddhismus spielt ein Baum, nämlich der Banyan-Baum (Ficus religiosa), eine große Rolle. Unter einem Banyan hat Buddha die Erleuchtung gefunden. Er ist deshalb in vielen Tempeln ein zentraler Punkt.

Südkorea

Das sind die Länder, in denen ich die Bäume bewusst wahrgenommen habe. Aber auch in Afrika sind sie sehr wichtig. Wie es in Amerika ist, kann ich nicht genau sagen. Da war ich nicht. Vielleicht habt Ihr eine Geschichte dazu?

Über Bäume und Dörfer

Ulrike
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2 Gedanken zu „Alte Bäume, stark im Zentrum des Lebens“

  1. Im Islam gibt es eine Überlieferung, da heißt es: “Wer einen Baum pflanzt, wird so viele gute Taten hierfür gutgeschrieben bekommen von Allah, wie dieser Baum Früchte trägt.”
    Bäume sind etwas wunderbares, darum gehe ich auch gerne in den Wald.
    Danke für deinen ausführlichen Bericht und die tollen Fotos

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