Die Bürgertugenden, die Verfassung und die Göttinger Sieben

1962 bezog das niedersächsische Parlament das Hannoversche Leineschloss und wollte dann auch ein repräsentatives Denkmal, das an die Verfassung und an die bürgerlichen Tugenden erinnerte. Schnell war ein Thema gefunden: Die Göttinger Sieben. Sieben Gelehrte, die 1837 für eine liberale Verfassung eintraten und mit viel Zivilcourage sich gegen den König von Hannover positionierten.

Die Göttinger Sieben - Denkmal in Hannover.

Was war passiert?

1833 hatten vor allem Göttinger Gelehrte eine Verfassung durchgesetzt, die eine konstitutionelle Monarchie in Hannover einführte. Diese bedeutete eine Stärkung der Rechte der Bürger und Bauern, die nun mehr Einfluss auf Regierungsentscheidungen nehmen konnten.

Ihnen wurde der Zutritt der Zweiten (Regierungs-)Kammer geöffnet. Die Landstände hatten das Gesetzgebungs- und Budgetrecht. Sogar eine beschränkte Ministerverantwortlichkeit war Bürgern und Bauern möglich.

Das beschnitt ein wenig die Rechte des Monarchen. König Ernst August, der 1837 den Thron bestieg, fand das nicht so gut. Er war erzkonservativ und lehnte den Eid auf die Verfassung ab. Da war es nur logisch, dass er die Verfassung 1837 außer Kraft setzte.

Die Göttinger Sieben schrieben einen Brief aus Protest, in dem sie den König aufrichtig und mit Einhaltung des nötigen Respekts kritisierten. Das konnte Ernst August nicht dulden.

Wenn die ehrerbietigst unterzeichneten Mitglieder der Landesuniversität hier als Einzelne auftreten, so geschieht es nicht, weil sie an der Gleichmäßigkeit der Überzeugung ihrer Collegen zweifeln, sondern weil sie so früh als möglich sich vor den Conflicten sicher zu stellen wünschen, welche jede nächste Stunde bringen kann. Sie sind sich bewußt, bei treuer Wahrung ihres amtlichen Berufs die studirende Jugend stets vor politischen Extremen gewarnt, und, so viel an ihnen lag, in der Anhänglichkeit an ihre Landesregierung befestigt zu haben. Allein das ganze Gelingen ihrer Wirksamkeit beruht nicht sicherer auf dem wissenschaftlichen Werthe ihrer Lehren, als auf ihrer persönlichen Unbescholtenheit. Sobald sie vor der studirenden Jugend als Männer erscheinen, die mit ihren Eiden ein leichtfertiges Spiel treiben, eben sobald ist der Segen ihrer Wirksamkeit dahin. Und was würde Sr. Majestät dem Könige der Eid unserer Treue und Huldigung bedeuten, wenn er von Solchen ausgienge, die eben erst ihre eidliche Versicherung freventlich verletzt haben?

Quelle: geschichte-abitur.de

Unterzeichnet wurde Brief von den Göttinger Professoren, dem Juristen Wilhelm Eduard Albrecht, dem Historiker und Staatsrechtler Friedrich Christoph Dahlmann, dem Orientalisten Heinrich Ewald, dem Literaturhistorikers Georg Gottfried Gervinus, der Germanisten Jacob und Wilhelm Grimm und dem Physiker Wilhelm Weber. 

Der König sah in dieser mutigen Tat offenen Widerstand gegen ihn. Die Konsequenz war, dass alle sieben Professoren ihrer Ämter enthoben wurden. Dahlmann, Jacob Grimm und Gervinus wurden zudem aus dem Land gewiesen, da sie sich zur öffentlichen Weitergabe der „Protestation“ bekannt hatten.

„Der Rechtsbruch des Königs von Hannover und sein drastisches Vorgehen gegen die sieben Professoren sowie die Tatsache, dass der Deutsche Bundestag auf Betreiben Metternichs nichts gegen die Anmaßung König Ernst Augusts unternahm, lösten in Deutschland ein gewaltiges politisches Echo aus. Die für die politischen Rechte der Bürger eingetretenen Professoren wurden als Helden und Märtyrer der Freiheit verehrt. Dies reichte von spontanen öffentlichen Sympathiebekundungen bis zur Bildung von Hilfskomitees, die Geld sammelten, um die Entlassenen finanziell zu unterstützen.“(Lebendiges Museum online)

Wer waren die Göttinger Sieben?

Göttinger Sieben
Die Göttinger Sieben, Lithografie nach einer Zeichnung von Carl Rohde, 1837/1838
Oben: Wilhelm und Jacob Grimm
Mitte: Wilhelm Eduard Albrecht,
Friedrich Christoph Dahlmann,
Georg Gottfried Gervinus
Unten: Wilhelm Eduard Weber,
Heinrich Georg August Ewald

Wilhelm Eduard Albrecht

* 04. März 1800 in Elbing; † 22. Mai 1876 in Leipzig
Staatsrechtler
Er war Staatsrechtler und in den 1830er Jahren juristischer Professor und Dozent an der Universität Göttingen. Nachdem er 1837 entlassen wurde, wirkte er als Privatdozent in den Leipzig. Im August 1848 nahm er an der Nationalversammlung in Frankfurt teil.

Friedrich Christoph Dahlmann

* 13. Mai 1785 in Wismar; † 5. Dezember 1860 in Bonn
Historiker, Staatswissenschaftler und Staatsmann
Ab 1829 war er Professor der deutschen Geschichte und der Staatswissenschaften in Göttingen. Dahlmann verfasste den Entwurf der Protestation. 1837 wurde er nicht nur seinen Job los, sondern musste das Land verlassen. Dahlmann, der über die Verfassungsfrage noch das klassische Pamphlet Zur Verständigung schrieb, begab sich zunächst nach Leipzig.

Eine einflussreiche Rolle spielte Dahlmann in der liberal-nationalen Bewegung des Jahrs 1848. Gleich im Beginn derselben wurde er von dem neu ernannten Minister Graf Schwerin zur Teilnahme an den Beratungen über die preußische Verfassung aufgefordert, bald nachher als preußischer Vertrauensmann zum Bundestag nach Frankfurt am Main geschickt.

Heinrich Ewald

* 16. November 1803 in Göttingen; † 4. Mai 1875 ebenda
Orientalist und evangelischer Theologe
Er war ein renommierter Professor an der philosophische Fakultät. Nachdem er entlassen wure, ging er zunächst nach Tübingen. Die Göttinger Universität hatte sehr gelitten durch die Entlassung so vieler bekannter und wichtiger Professoren, dass sie sich, nachdem sich die Wellen etwas geglattet hatten, darum bemühten, die Professoren zurückzurufen.

1848 kehrte also Ewald zurück und lehrte dort alttestamentliche Theologie und orientalische Sprachen. Er blieb weiterhin politisch engagiert. Wegen unbotmäßiger Äußerungen in seiner Schrift Das Lob des Königs und des Volks wurde ihm 1868 die Lehrerlaubnis endgültig entzogen. Er war ein entschiedener Gegner des preussische Militarismus.

Georg Gottfried Gervinus

* 20. Mai 1805 in Darmstadt; † 18. März 1871 in Heidelberg
Historiker und nationalliberaler Politiker
1835 wurde er in Heidelberg zum Professor für Geschichte und Literatur berufen. 1836 wechselte er nach Göttingen. 1837 wurde er schon wie entlassen. Er reiste für längere Zeit nach Italien, schrieb aber weiter an seinen bedeutenden Werken. 1844 wurde er Professor an der Universität Heidelberg.

1853 wurde er wegen demokratischer Publikationen wegen Hochverrats zu kurzer Haft verurteilt. Doch die Anklage wurde schnell fallen gelassen. Er eckte immer wieder an, weil unter den deutschen Historikern seiner Zeit weit verbreitete unkritische Legitimation der Bismarckschen Politik nicht mittrug.

Jacob Ludwig Karl Grimm

* 4. Januar 1785 in Hanau; † 20. September 1863 in Berlin
Deutscher Sprach- und Literaturwissenschaftler. Er gilt als Begründer der deutschen Philologie und Altertumswissenschaft.
1830 erhielt Jacob Grimm eine Professur an der Universität Göttingen, wo er auch als Rechtsbibliothekar tätig war. Nachdem er 1837 des Landes verwiesen wurde, ging er 1841 auf Wunsch des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. nach Berlin. 1841–1846 wohnte er mit der Familie seines Bruders Wilhelm Grimm am Rand des Tiergartens.

An der Frankfurter Nationalversammlung in der Paulskirche nahm er im Frühjahr 1848 als parteiloser Abgeordneter des preußischen Wahlkreises Essen und Mülheim an der Ruhr teil. Er sprach über Adel und Orden; außerdem legte er einen Entwurf für den ersten Artikel der Grundrechte vor.

Wilhelm Carl Grimm

24. Februar 1786 in Hanau; † 16. Dezember 1859 in Berlin
Sprach- und Literaturwissenschaftler
1831 wurde Wilhelm Grimm Bibliothekar an der Universität Göttingen. 1835 erhielt er dort eine außerordentliche Professur. Nach 1837 ging zusammen mit seinem Bruder nach Berlin (s.o.). 1848 gehörte er dem Vorparlament an. 1852 wurde er zum auswärtigen Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gewählt.

Bekannt wurde er zusammen mit seinem Bruder Jakob für die umfangreiche Märchensammlung, die noch heute als „Grimms Märchen“ beliebt sind. Zusammen mit seinem Bruder begründete er die germanistischen Altertumswissenschaften, die Runologie, die germanistische Sprachwissenschaft und die deutsche Philologie.

Wilhelm Eduard Weber

* 24. Oktober 1804 in Wittenberg; † 23. Juni 1891 in Göttingen
Physiker
1831 wurde er Professor der Physik in Göttingen. In der Folge lebte Weber als Privatgelehrter in Göttingen oder befand sich auf längeren Reisen. 1843 wurde er nach Leipzig berufen, bis er 1849 nach der bürgerlichen Revolution von 1848 in Deutschland auf seine alte Stellung zurückkehren konnte.

In ihrem Gründungsjahr 1846 wurde er Mitglied der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. 1860 wurde er zum Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina gewählt.

Das alles könnt ihr ausführlich bei Wikipedia nachlesen. Ich habe im Wesentlichen nur die politischen Tätigkeiten der Göttinger Sieben zusammengefasst. Also das, was man mMn als unpolitischer Mensch im Zusammenhang mit den Protesten 1837 wissen sollte.

Das Denkmal

Auf dem Platz der Göttinger Sieben, neben dem Niedersächsischen Landtag, befindet sich unübersehbar das Denkmal, das aus neun lebensgroßen Bronzestatuen besteht. Die Figuren sind um ein großes, halbgeöffnetes Tor gruppiert. Es wurde 1998 von dem Künstler Floriano Bodini geschaffen.

Die Göttinger Sieben

Die Professoren werden im Denkmal wie römische Senatoren dargestellt. Der im Bild rechts erinnert mich an das römische Porträt von Julius Caesar.

Warum neun Statuen? Die Göttinger Sieben waren doch nur sieben Männer? Nun, es kommt noch die Reiterstatue des hannoverschen Königs Ernst August I hinzu. Er steht mit seinem Pferd etwas abseits wie ein römischer Kaiser und scheint mit seiner ausgestreckten Hand die Professoren in ihre Schranken zu verweisen.

Dann ist auf dem Torbogen noch ein fast nackter Jüngling zu sehen, der mit seiner Schriftrolle in der rechten Hand buchstäblich für einen freien Studenten steht. Er manifestiert sich wie eine Statue auf einem eigenen Podest in halber Höhe.

Drei der Professoren verlassen das Tor. Hier, jenseits des Tores, öffnet sich ein Raum völliger Freiheit, charakterisiert durch die frei wachsende Niedersachseneiche, die vorbeifließende Leine und die Grünanlage hinter dem Leineschloss

Die übrigen bleiben zwar in der Nähe des Landesherrn, aber sind doch deutlich distanziert. Alle tragen Schriften in den Händen. Sie weisen auf einen knappen, existenziellen Text hin „Constitutio“ – „il Principe“ (von Nicolo Macchiavelli) – „Die Freiheit des Gewissens ist unverletzlich“ + „Grundrechte des deutschen Volkes“ – „Artikel II,7 – Jeder Deutsche hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern.“

Die Römischen Verträge

Das Aussehen der Figuren wie antike Römer hat mich sehr beeindruckt und mich nach Zusammenhängen suchen lassen. Dabei stieß ich auf die Römischen Verträge von 1957. Vielleicht ein wenig weit hergeholt?

  • Die Römischen Verträge wurden am 25. März 1957 von Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden in Rom unterzeichnet. Damit gründeten die Unterzeichnerstaaten die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM). Sie vereinbarten den freien Waren-, Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehr, eine gemeinsame Handelspolitik sowie europäische Institutionen. Die Unterzeichnung der Verträge gilt als Gründungsdatum der Europäischen Union (EU). Die Verträge traten am 1. Januar 1958 in Kraft und gelten als Fundament der EU in der Fassung des Vertrages von Lissabon fort. Bundestag

Fazit

Das Denkmal ist umstritten, doch es lohnt sich, es anzusehen und darüber nachzudenken.

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Ulrike

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