Was macht die ganz normale Nadel so faszinierend?

Letztens habe ich gelesen, dass der Mensch schon seit der Steinzeit die Nadel herstellte und nutzte. Passend dazu fand ich zu der gleichen Zeit ein altes Foto aus Banpo, einer steinzeitlichen Siedlung bei Xi’an, das Öhrnadeln zeigte, Nadeln, die rund 6.000 Jahre alt sind.

Nadel in Banpo, 6000 Jahre alt.

Die Nadel – museenswert

Eigentlich sind Nadeln klein und unscheinbar, eher nicht im Museum zu sehen. Aber wenn man erst einmal darauf gestoßen ist, wie lang ihre Geschichte ist und wie vielfältig ihre Verwendungsmöglichkeiten sind, dann hält man die Augen offen unterwegs. Und man sieht sie öfter als man denkt.

Geschichte

Die älteste Nadel mit Öhr haben Forscher in den frühjungpaläolithischen Schichten des Strashnaya-Höhlenkomplexes im westlichen Altai (Russland) ausgegraben. Sie soll um 43.000 Jahre alt sein. (Wikipedia) Diese Höhle liegt übrigens ganz in der Nähe der Denisova-Höhle.

Grabungen in Sibirien brachten Öhrnadeln ans Tageslicht, die 20.000 Jahre alt sind. Diese lassen Rückschlüsse auf eine lange Tradition der Herstellung und Nutzung der Nadel zu.

d’Errico and his colleagues uncovered evidence of extensive production sites for needles and garments. For example, at a site in the northern deserts of China, researchers extracted needles that were more than 10,000 years old, along with tools that may have aided their creation. Some of the needles are wide and flat, perhaps used to stitch thick hides. Others are narrow and circular, which may indicate they were used for delicate work such as embroidery.

sapiens.org

Das heißt natürlich nicht, dass es nicht noch ältere gibt. Die sind wahrscheinlich nur schon verrottet oder noch nicht gefunden. Denn die Nadeln waren aus Knochen und anderen vergänglichen Materialien.

Vorausgegangen sind Ahlen, also Nadeln ohne Öhr, mit denen man Löcher durch Leder bohren konnte, um anschließend einen Faden oder eine Schnur durchzuziehen. Dann gab es auch noch Nadeln mit einem gespaltenen Ende, die den Faden festhielten beim Nähen.

Verschiedene Nadeln im Nadelkissen

Schon der Neanderthaler und auch der frühe Homo Sapiens haben die Möglichkeiten der Nadeln für sich entdeckt. So konnten sie zwei Stücke Stoff oder Leder verbinden. Aber nicht nur das! Als „Sicherheitsnadel“ konnte sie auch eine Verzierung und Statussymbol sein. Sobald die Verwandlung von Erz in Metall bekannt war, schienen die Verwendungsmöglichkeiten unendlich zu sein.

Die Gewandnadel bzw. Fibel

Was liegt näher, als seine Kleidung mit Nadeln zu verzieren? Es entstanden Schmucknadeln, die sog. Fibeln. Sie gab es vor allem seit der Bronzezeit in so zahlreichen Varianten, dass die Forscher ganze Kulturen dadurch unterscheiden können.

Eine silberne Gewandnadel in Form eines Kamels
Eine silberne Gewandnadel aus Margiana, Turkmenistan, ca. 3.000 bis 4.000 Jahre alt

Es war wie eine Mode, ob in einer Gegend Fibeln mit Kopf oder Scheibe oder sonst einem Muster verziert waren. Mit der Zeit wurden sie immer aufwändiger, mit Gold und Edelsteinen.

Fibeln wurden benutzt, um Kleider, Umhänge und Mäntel zusammenzuhalten (Gewandschließen). Sie lösten die Gewand-Nadel ab.

Neben ihrer praktischen Funktion dienten sie auch als Schmuck und konnten mit Anhängern versehen werden. (Wikipedia)

Die Gewandnadel wurde lange genutzt. Erst als im Hochmittelalter Knöpfe als Gewandschließe aufkamen, verlor sie ihren eigentlichen Zweck. Als Symbolträger (z. B. Orden) oder als Glücksbringer sind sie allerdings auch heute noch beliebt.

Fíbula de Braganza, 250-200 a.C.
Fíbula de Braganza, 250-200 a.C., Britisches Museum

Andere frühe Nadeln

Haarnadel?
Early Aurignacian period, about 34,000 years old
From the abri Lartet in the Gorge d’Enfer, Dordogne, France, Britisches Museum

Es wurden auch Nadeln in paläolithischen Fundstätten ausgegraben, über deren Gebrauch sich die Forschenden nicht ganz klar sind. Diese Nadeln weisen einfache Verzierungen auf, aber keine Spuren, die auf die Nutzung als Ahle o.ä. schließen lassen.

Man hält sie für Haarnadeln, was als solches schon erstaunlich ist. Denn das würde bedeuten, dass die Menschen in der Steinzeit Hochsteckfrisuren oder Ähnliches kannten.

Sonstige Nadeln:

Nach und nach verbreiteten sich die Nadeln und wurden für alle möglichen Zwecke genutzt: Stricknadeln, Häkelnadeln, später auch Injektionsnadel.

Schon früh werden in der Traditionellen Chinesischen Medizin Nadeln angewendet, bei der Akupunktur zum Beispiel. Auch beim Tätowieren muss man die Nadeln seit frühester Zeit gekannt haben. Dafür sprechen z.B. die Tattoos von Ötzi.

Eine weitere Nadel, die ich noch erwähnen möchte, ist die Graviernadel:

Im 16. Jahrhundert begannen Künstler damit, Radierungen zu erstellen. Dabei wird zunächst eine Bleistiftzeichnung auf eine lackierte Druckplatte übertragen; anschließend werden die gezeichneten Linien in die Lackschicht eingeritzt. Ein Säurebad sorgt dafür, dass sich die eingeritzten Linien in die Platte einätzen. Die Nadel ist der einer Nähnadel nicht unähnlich, nur dass sie in Form eines Spatels u.ä. angespitzt ist.

Die Revolution: Das Nadelöhr

Die Erfindung des Nadelöhr muss einer Revolution geglichen haben, denn sie spart enorm viel Zeit und Arbeit. Manche sagen sogar, dass das vergleichbar mit der Erfindung des Rads ist, aber viel früher.

Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.

Mk  10,23–27

Ja, das ist ein Zitat aus der Bibel, das uns zum Nachdenken über den Nutzen des persönlichen Reichtums anregen soll. Es ist auch ein Zeichen, dass die Öhrnadel schon in biblischen Zeiten ein bekanntes und allgemein gebrauchtes Nähutensil war.

Nadelöhr und Faden

Kommen wir aber auf die Nadel als Handwerkszeug zurück. Mit dem kleinen Öhr ist sie einzigartig dazu geeignet, einen Faden aufzunehmen und zu nähen. Nur das Knöpfe annähen wurde erst sehr spät erfunden. Welch ein Geschick mussten die Menschen der Vorzeit gehabt haben, um solch feine Löcher zu bohren!

Das zum Teil winzige Öhr legt auch den Schluss nahe, dass die Menschen in der Lage waren, verhältnismässig dünne Fäden herzustellen. Was haben sie noch aus diesen Fäden gemacht?? Stoffe gibt es mindestens seit 10.000 Jahren. Ach, ich komme wieder vom Hundertsten ins Tausendste!

Chinesisch

Jetzt hätte ich fast vergessen, Euch zu zeigen, was „Nadel“ auf Chinesisch heißt!

针 • zhēn = die Nadel

Noch ein Rederwendung, die ich sehr amüsant finde:

女人​心,海底​针 • Nǚrén xīn, hǎidǐ zhēn = Das Herz einer Frau ist so schwer auszumachen wie eine Nadel auf dem Meeresgrund. (Versteh einer die Frauen)

Achtet mal beim Museumsbesuch aber auch im Alltag darauf, wie oft Ihr der Nadel und ihren Wirkungen begegnet!

Links:

Und dann gibt es noch diese wunderbare alte Geschichte aus China: Wie aus einer Eisenstange eine Nadel wird

Gewandnadeln
Ulrike

2 Gedanken zu „Was macht die ganz normale Nadel so faszinierend?“

  1. Spannend.
    Wusstest du, dass Nadeln, die bei Operationen zum Einsatz kommen kein Nadelöhr haben?
    Die Föden werden ins Ende eingeschweißt oder eingelagert. Dadurch sind die Löcher in der Haut oder den Organen schmaler bzw. so klein wie möglich.
    LG Liane

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