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Slow Travel oder Rekorde?
Die Reisenacht Offline #RN8 (auf Twitter) am 06.03.15, einem Blogger-Event auf der ITB Berlin, fing mit der Frage nach demjenigen im Publikum an, der 2014 die meisten Länder besucht hatte. Es gab jemanden, der mit 16 Ländern den Rekord hielt. Allerdings saß auf der Bühne Stefan Loose, ja richtig, der von den Reiseführern, der sich mit dem Besuch von 20 Ländern outete.
Slow Travel oder 16 Länder in wenigen Monaten
Ich saß im Publikum und fühlte mich stark an meine Backpacker-Zeiten zurück versetzt. Wenn ich damals in einer netten Runde bei einem Bier irgendwo in Asien mit anderen Reisenden zusammen saß und man versuchte, sich mit Rekorden zu übertrumpfen: Slow Travel, der neue Trend, ist was anderes
„Ich habe 5 Monate Zeit und möchte auf jeden Fall noch nach Japan, Südkorea, Indonesien, Malaysia, Australien und Neuseeland…“
“3 Monate liegen hinter mir, ich war schon in Indien, Nepal, Thailand, Kambodscha, Vietnam…“
Ich habe mich da meistens fremd gefühlt. Ist es denn wirklich so erstrebenswert, möglichst viele Länder in möglichst kurzer Zeit zu bereisen? Ich scheine da schon früh ein Anhänger des Slow Travel gewesen zu sein, des langsamen Reisens.
Meine Motivation damals, auf große Asienreise zu gehen, war von Anfang an, dass ich mir Zeit lassen wollte, an schönen Orten so lange bleiben, wie es mir gefiel, und mir nicht jeden Blick um die nächste Ecke verkneifen musste, weil dazu keine Zeit mehr war. Heute nennt man das Slow Travel.
Eine Begegnung ist mir da besonders in Erinnerung:
1991 Südkorea, ein amerikanisches Ehepaar: „Eigentlich wollten wir ja erst in einer Woche zurück reisen, doch jetzt fliegen wir schon nach 2 Wochen wieder nach Hause.“ Erstaunte Frage von mir: „Warum das denn?“ „Ach, die Tempel in Südkorea sehen alle gleich aus. Hat man einen gesehen, hat man alle gesehen. Und außerdem ist die Seide so teuer. Da haben wir auch keine Lust mehr auf’s Shoppen!“
Ich blieb sprachlos zurück. Die Tempel sahen für mich nicht alle gleich aus. Ich nahm mir die Zeit, auch etwas abgelegene Tempel zu besuchen wie den Unju Sa. In 7 Wochen Südkorea habe ich wirklich nicht alles gesehen, was dieses wunderschöne Land zu bieten hat, aber ich hab immer Zeit gehabt für ein Schwätzchen mit den einheimischen Frauen oder für eine Exkursion in völlig unbekannte Gegenden.
Ich habe es genossen, ohne Zeitdruck zu reisen. Mich treiben zu lassen. Auch heute noch liebe ich es, langsam zu reisen. Lieber eine ganze Woche in Chengdu als die große China-Reise in 14 Tagen. Also Slow Travel!
Eigentlich tut es mir immer in der Seele weh, wenn Kunden meinen, dass für Peking 3 Tage ausreichen.
Bei manchen Reiseanfragen für China muss ich daran denken, wie wir immer die Amis oder die Japaner, neuerdings auch die Chinesen, belächeln, die in einer Woche ganz Europa sehen wollen. Was denen alles entgeht!
Ich habe einmal einer Frau, die in 5 Wochen wirklich alle Highlights von China sehen wollte (nur auf Tibet und Westchina wollte sie verzichten) nach einigem Hin und Her geraten, sich lieber etwas weniger anzusehen und das dafür umso intensiver. Doch sie bestand auf ihrer Wunschroute. Wie überrascht war ich, als sie nach der Reise zwar ein positives Feedback sandte, im Nachsatz aber schrieb: „Es waren großartige Eindrücke, aber zu viele in zu kurzer Zeit! Ich hätte auf Sie hören sollen: Weniger ist mehr!“
Ich habe während meiner Großen Asienreise 11 Länder in 18 Monaten bereist. Huch! Wirklich so wenig? Ja, ich hab manche Länder mehrfach besucht wie China oder Indien. Ich habe von einigen Ländern mehr gesehen als die meisten. Ich habe mich damit abgefunden, dass ich in meinem Leben nicht die ganze Welt kennen lernen werde, dass ich nicht jede bedeutende Sehenswürdigkeit, nicht jede tolle Landschaft, nicht jedes beeindruckende Museum besuchen werde. Aber das, was ich sehe, habe ich intensiv in mich auf genommen und gerne auch mal bei einem zweiten Besuch das Erfahrene, Erlebte vertieft.
Nein! Die Rekordjagd nach den meisten Ländern in der kürzesten Zeit mache ich nicht mit! Dann lieber Slow Travel: Jeden Ort, jedes Land in Ruhe und intensiv kennen lernen!
Eng verbunden mit der Idee des Slow Travels ist der „sanfte Tourismus“
so wenig wie möglich auf die bereiste Natur einzuwirken bzw. ihr zu schaden,
die Natur möglichst nah, intensiv und ursprünglich zu erleben,
sich der Kultur des bereisten Landes möglichst anzupassen.
Sanfter Tourismus gehört zum Konzept einer starken Nachhaltigkeit, verbunden mit der Forderung, die verbleibenden Bestände an Naturkapital zu erhalten und darüber hinaus in diese zu investieren. Wikipedia
Noch mehr Fans von Slow Travel:
Und dann gibt es einen interessanten Beitrag von Christina vom Blog Perspektiven wechseln: Die Welt rückt zusammen Da finde ich mich vollkommen wieder!
2019: Auch die sog. Influenzer betreiben vor allem auf Instagram intensiv das „Länderzählen“. Dass das sinnentleert und nervig ist beschreibt Katharina vom Blog So nah und so fern in ihrem Artikel „Warum mich Euer Länderzählen nervt“.
Die ewige Suche nach dem Glück
2019: Ein Plädoyer für das Länderzählen findet sich auf dem Blog Weltreiseforum: Dort habe ich den folgenden Satz gelesen: „Die grosse Liebe können wir nur erkennen, wenn wir ihr die Chance geben, sich uns überhaupt zu zeigen.“ Dem muss ich zustimmen. Das erinnert mich aber auch ein wenig an die rastlosen Menschen, die von Party zu Party eilen auf der Suche nach dem Glück und dabei diesem Glück nicht die Zeit geben, sich finden zu lassen. Denn Glück und Liebe brauchen Zeit, sich zu entwickeln.
Ich habe meine große Liebe gefunden, das Land, in das ich immer wieder gerne reise. China! Das trägt dazu bei, dass ich ganz entspannt aufbreche und gerne heimkomme. Ich kehre gerne an manche Orte zurück wie nach Peking oder Xi’an. Dabei genieße ich das Gefühl, mich fast wie Zuhause zu fühlen. Ich habe zu innerer Zufriedenheit gefunden und meine Rastlosigkeit abgelegt. Selbst wenn ich nie wieder reisen würde in meinem Leben, würde mich das nicht unglücklich machen.
Natürlich habe ich das Reisen nicht aufgegeben bislang. Doch es hat sich ein neuer Aspekt gefunden, ein Thema, das ich bei den meisten Reisen ins Zentrum stelle: Wenn ich nach London, nach Rom oder sonstwohin reise, dann besuche ich gerne die Museen, die asiatische Kunst bieten. In London stand für mich Chinatown ganz oben auf dem Zettel.
Eigentlich will ich schon ganz lange mal nach Prag und wundere mich, dass ich nicht den wirklichen Drang dazu entwickle. Nicht genug Asien? Da reizt mich Amsterdam mehr. Oder Delft mit seiner Porzellanfabrik und dem damit verbundenen Chinabezug. Mal sehen, was die Zukunft noch bringt!
Links
- Meine Verantwortung als Reiseblogger
- Was mich das Reisen gelehrt hat
- Fantastische Orte, an die ich nicht mehr zurück möchte
- Kaffee in China – eine erstaunliche Entwicklung - 6. Oktober 2024
- Der Orient: Länder der Seidenstraße - 29. September 2024
- Shanghai Pass für ganz China! - 22. September 2024
Zurück zum Thema: schließlich geht es mir um die Backpacker, die sich mit ihrem Wunsch nach Rekorden selbst unter Druck setzen.Und die haben die Zeit und rasen trotzdem durch die Länder. Manche jedenfalls
Man sollte dabei aber bedenken, daß z.B. Chinesen oder Japaner bei weitem nicht so viele Urlaubstage wie wir Deutschen haben. Und wenn du mal selber in China mit einer chinesischen Reisegruppe unterwegs warst, wirst du merken, daß es dort genauso stressig abläuft und sie es gar nicht anders gewohnt sind. Für uns oftmals nicht verständlich. hahaha
Das erinnert mich an die bedauernswerten Asiaten, die diese Pauschalreisen – zehn europäische Länder in fünf Tagen – gebucht haben, nur um dann daheim angeben zu können, in Europa gewesen zu sein. Wenn sie für sich unterwegs sind, joggen sie förmlich durch die Residenz, und benötigen für den großen Rundgang (Normalzeit ca. 2 Stunden) kaum länger als 30 Minuten. Dabei haben sie unablässig den Finger am Auslöser und fotografieren wahllos im Vorüberrennen und ohne die Motive richtig wahr zu nehmen, vermutlich,um möglichst lückenlos dokumentieren zu können, was sie alles gemacht haben, und wo sie überall gewesen sind. Und die Gruppen werden förmlich durch die Räume gepeitscht wie eine Horde Vieh… Nein, danke…
Da pflichte ich dir voll und ganz bei!
1 Woche ist zu lang für Chengdu? Für mich wäre das eher zu kurz, bei dem, was man im ganzen Umland unternehmen kann. Da vergeht die Zeit doch wie im Flug. Und zum Entspannen Sonntag´s in den People´s Park gehen, die ganzen Shows dort genießen inkl. den Heiratsmarkt.
Danke! Ich will nicht werten. Jeder soll so reisen, wie er es für richtig hält und wie es ihn glücklich macht. Ich bin genau wir du für mehr Qualität statt Quantität.
Ulrike, ich muss dir Recht geben. Wahres Reisen ist langsames Reisen. Es gab einmal ein Paar, das wollte Inselhüpfen auf den Kykladen machen, flog nach Athen, fuhr mit dem Schiff nach Santorin, verlängerte seinen Aufenthalt (Baden und Sightseeing) mehrfach und reiste nach 4 Wochen auf dem selben Weg wieder nach Hause. Seitdem sind wir Anhänger des Langsamreisens.
Meine Reisen in den letzten Jahren waren auch nur kurz. Eine ganze Woche in Chengdu! Da haben auch einige Leute den Kopf geschüttelt: zu lange für Chengdu – zu kurz für eine China-Reise. Und doch. es war klasse! Zum 2. Mal in Peking – da kann man einiges in 3 Tagen machen…
Ich kann dich gut verstehen. Bei mir war es jedes mal so, dass ich sehr gerne mehr Zeit gehabt hätte. Leider bin ich nicht so mutig wie du (jedenfalls bisher noch nicht), dass ich bereit bin, hier mal alles aufzugeben. Ich brauche meinen Job, der gibt mir Sicherheit. Und dann sind halt keine langen Urlaube möglich.
3 Tage Peking sind auch definitiv zu wenig. Ich war ja schon mal für 4 Tage dort. Und habe lange noch nicht alles gesehen. Und dann gibt es einige Sachen, die ich mir auch gerne noch ein zweites Mal anschauen würde. Deswegen nutze ich ja den Stop-Over im Herbst (sind zwar wieder nur drei Tage – aber das liegt dieses Mal am Visum).
Angeben? Nein… Das bin ich nicht. Für mich persönlich muss es stimmen. Und das erzähle ich auch immer allen. Wenn dann manchmal einige meinen, dass sie da nicht mithalten können, weil sie bisher nur in Italien am Strand waren, dann lache ich diejenigen auch nie aus, sondern erkläre ihnen, dass „Urlaub“ für jeden was anderes bedeutet, und wenn sie Strand liegen wollen, sie das auch ruhig weiterhin tun sollen. Und wenn andere dann mit anderen Ländern auftrumpfen wollen, höre ich einfach nur zu, und denke mir meinen Teil.
Ich denke, jeder sollte für sich entscheiden, wie er unterwegs ist. Was aber so besonderes daran sein soll, daß man schon „100“ Länder bereist hat, hat sich mir noch nie erschlossen. Ich persönlich reise auch lieber langsam, bzw. habe einen groben Reiseplan, den ich aber oftmals umschmeiße, weil ich vor Ort neue Ziele entdecke. Beispiel letztes Jahr in Nanning, China. Dort wollte ich eigentlich nur 2 Tage bleiben (hatte eine Übernachtung per Couchsurfing). Ich habe mich mit meiner chinesischen Gastgeberin aber so super verstanden, daß ich insgesamt 7 Tage geblieben bin und sie mir ein Nanning (und Umgebung) gezeigt hat, daß ich so nie erlebt hätte. Und im Mai fliege ich wieder zu ihr und wir wollen zusammen einige Zeit durch den Süden von China reisen und auch nicht die „typischen“ Ziele ansteuern, sondern wirklich off the track reisen. Ich denke mal, wenn ich nur ein speed traveller wäre, dem es nur darum geht, soviel wie möglich in kürzester Zeit zu sehen, würde mir so etwas einfach entgehen. Der Kontakt zu Einheimischen, daß alltäglichen Leben….. Sachen, die für mich schon immer interessant waren. Aber wie schon Anfangs geschrieben, jeder hat andere Prioritäten und sollte das für sich selber entscheiden.
Ja, danke für den Kommentar! Jeder muss selbst wissen, was er mit seinem Reisen bezweckt.
Ich sage dazu nur: Reise, Reise…jeder tut’s auf seine Weise.
Oder: Jeder Jeck ist anders, wie man im Rheinland sagen würde.
Schlimm finde ich nur, wenn Leute damit prahlen, wieviele Länder sie schon bereist haben. Die Reisegeschwindigkeit muss jeder für sich selbst ausloten. Am Ende wird es aber nur wenige geben, die es auf Dauer schaffen, jeden Tag an einem anderen Ort zu sein.