Abseits der Touristenpfade in China? Wo liegt das?

Zuletzt aktualisiert vor 1 Jahr

Wo liegt das überhaupt? Das Shangri La der Individualreisenden, dieser geheimnisvolle Ort „abseits der Touristenpfade“? Wo liegt dieser Ort in China?

Als deutscher Tourist im Ausland steht man vor der Frage, ob man sich anständig benehmen muss oder ob schon deutsche Touristen dagewesen sind.
Kurt Tucholsky (1890 – 1935)

Emeishan, abseits der Touristenpfade. Wald, Pagode, einsamer Pfad.
Einsamer Wald am Emeishan

China abseits der Touristenpfade

Ein Beispiel: Fulu in Südchina 1993

Fulu war einfach nur interessant! Ich fühlte mich in einen Dokumentarfilm versetzt, der über diese abgelegene Gegend und ihre Menschen berichtete. Nicht für alles hatte ich Erklärungen und nahm meistens nur staunend und ohne nach Erklärungen zu suchen wahr, was ich sah. Auf dem kleinen Markt kauften und verkauften die einheimischen Frauen ihr Gemüse, Reis, Nudeln, Plastikschüsseln und bunte Kämme und Tücher. Das Angebot war einfach.

Die Frauen trugen schwarze glänzende Röcke, ein Brusttuch, Gamaschen und manchmal Plastiklatschen. Ihr Haar hatten sie zu kompakten Knoten gebunden und mit einem bunten Kamm befestigt. Manche trugen mit Blumen bedruckte Frottee-Handtücher als Kopfbedeckung.

Fulü in Südchina, einheimische Frauen auf dem Markt.

An einer Stelle gab es einen großen Sack mit gerösteten Ameisen, die man kaufen oder auch gleich verspeisen konnte. Wohin ich auch kam, man guckte mich mit großen Augen verwundert an.

Alleine

Bald hatte ich das Gefühl, dass ich keine weiteren Eindrücke mehr aufnehmen konnte. Ich fand ein kleines Restaurant, setzte mich an einen der dunklen Holztische, aß irgendetwas und trank ein Bier. Und schaute auf die Menschen, die vorbeigingen. Der Ort war autofrei, die einzigen Geräusche, die ich hörte, war das Lachen der Menschen und das Gegacker der Hühner.

Der Wirt der Pension, in der ich wohnte, sprach ein wenig englisch. Auf meine Frage, wie viele westliche Reisende im Jahr durch Fulu kämen, antwortete er überlegend „so vier bis fünf“. Na, wenn das nicht ein Ort abseits der Touristenpfade war!

Ich habe damals niemandem unterwegs von Fulu erzählt, weil ich den geheimnisvollen Reiz dieses Ortes „abseits der Touristenpfade“ nicht zerstören wollte. Fulu sollte geheim bleiben und kein Geheimtipp werden. Egoistisch? Hmm, ja, auch! Heute wird man das Fulu, so wie ich es erlebt habe, nicht mehr finden. Oder doch? Die Straße ist fertig gebaut. Die meisten Menschen fahren heute vielleicht achtlos dran vorbei. Und man hat neue bequeme Häuser gebaut mit Badezimmer und viel Licht. Der einfache offene Markt ist vielleicht einem Supermarkt gewichen. Wer weiß?

Aber was ist das genau? Abseits der Touristenpfade?

Jetzt müsst Ihr ganz tapfer sein, liebe Individualreisende! Denn laut Duden und Wiktionary seid Ihr alle zunächst einmal Touristen, egal ob in Gruppe, allein, bei den großen Sehenswürdigkeiten oder im Urwald.

Tourist
Duden
[Urlaubs]reisender; jemand, der reist, um fremde Orte und Länder kennenzulernen (veraltet) Ausflügler, Wanderer, Bergsteiger
Wiktionary
Person, die zu ihrem Vergnügen reist 

Also möchte ich mal ganz provozierend sagen: Es gibt gar kein „abseits der Touristenpfade“. Denn wo du, der Tourist, bist, da ist auch ein Touristenpfad! Aber das trifft es natürlich nicht. Denn häufig kommt der Spruch ergänzt durch das Wörtchen „ausgetreten“. Also der Touristenpfad ist ein ausgetretener, den viele gehen.

Abseits der Touristenpfade: Yangcheng in der Provinz Shanxi
Yangsheng, Provinz Shanxi
Jiuzhaigou, Aussicht auf schneebedeckte Gipfel.
Unterwegs nach Jiuzhaigou 1987
Verbotene Stadt . Östliche Paläste, Eingang zum Garten des Kaiser Qianlong.
In den Östlichen Palästen der Verbotenen Stadt

Abseits der Touristenpfade in China

Ja, der Lonely Planet Guide ist DER Reiseführer für China. Gerade für Backpacker ist das Buch von großer Bedeutung. Auch wenn es sicherlich nicht generell stimmt, so ist der Fall, dass ein Ort nicht in diesem umfassenden Guidebook erwähnt wird, ein gutes Indiz für einen Ort abseits der Touristenpfade in China.

Deshalb möchte ich Euch hier meine neueste Entdeckung vorstellen: Anyang, eine kleine Stadt in der Provinz Henan mit rund 1 Million Einwohner im Stadtgebiet. Ja, für uns Europäer schon eine Großstadt wie z.B. Köln. Aber in China eher eine Kleinstadt. Man findet Anyang nicht im Lonely Planet Guide.

Es geht gemütlich zu in Anyang.

Anyang Tor von Yinxu, interessante Ausgrabungen zu einer Frühgeschichtlichen Ausgrabung eines Palastes.
Tor zu den Ausgrabungen von Yinxu

Es gibt eine nette Altstadt, die man zur Zeit (2017) ausbaut und attraktiver gestalten möchte. Früher hat es auch mal eine Stadtmauer gegeben, wie man auf den Stadtplänen noch heute erkennen kann. Die Hauptattraktion in Anyang sind die Ruinen von Yinxu, die rund 3.500 Jahre alt sind. Dort hat man beeindruckende Bronzekessel und einen Palast ausgegraben. Besonders bedeutend sind die zahlreichen Orakelknochen, die man hier gefunden hat. Älteste Schriftzeichen, UNESCO-Weltkulturerbe. Und doch wenig besucht von westlichen Reisenden.

Abseits der Touristenpfade können auch wenig besuchte Museen sein, wie zum Beispiel das Museum of Chinese Women and Children in Peking. Ganz neu, mit tollen Ausstellungen aber wenig von (westlichen) Touristen besucht.

Emeishan - abseits der Touristenpfade in China. Eine Treppe im Wald.
Am Emeishan

Oder man geht mal ein paar Schritte weiter: Hinter dem letzten viel besuchten Tempel am Fuße des Emeishan führt der Weg in die unbekannte Natur rund um den berühmten Berg.

Die Dörfer und der Tourismus

Wie fast überall auf der Welt rührt die Idylle der einfachen Dörfer häufig daher, dass kein Geld da war für Asphaltstraßen und moderne Häuser mit isolierten Wänden und Fenstern aus Glas. So hat sich vielerorts bröckelndes Lehmfachwerk erhalten.

Guoyu, Empfang mit Tanz und Trommeln.
Großer Empfang der Touristen mit Trommelwirbel

Mit dem zunehmenden Wohlstand in China stehen viele Menschen vor der Frage, ob sie sich ein warmes trockenes Betonhaus bauen oder das alte unter großem Aufwand den modernen Komfortbedürfnissen anpassen. Ersteres ist einfacher. Letzteres bringt die Aussicht auf Tourismus und damit weiteren Wohlstand. Eine Zwickmühle!

In China selbst wächst das Bedürfnis der Chinesen, mal aus den Megastädten rauszukommen und die Idylle des bäuerlichen Landes zu genießen. Deshalb sind viele Dörfer in China nicht mehr abseits der Touristenpfade!

Aber:

Ich glaube, dass viele Reisende ganz etwas anderes meinen, wenn sie von Orten abseits der Touristenpfade in China sprechen! Der Reisende träumt von alten Dörfern, die nicht renoviert sind, bunten Märkten, auf denen die Einheimischen Obst und Gemüse aus dem heimischen Vorgarten anbieten, gekleidet in einfache alte Trachten. Alte, halbzerfallene Tempel gehören dazu, vor sich hin gammelnde Häuser und Scheunen.

Bei Reise-Durchfall möchte man seine Zeit nicht auf so einer Toilette verbringen
Öffentliche Toilette am Wegesrand in China- Willst du Deine Zeit unterwegs auf einer solchen Toilette verbringen?

Das Zeitalter der Entdecker ist weitestgehend vorbei!

Wie James Cook, Darwin oder Humboldt unbekannte Völker entdecken, seltenste Tiere zu katalogisieren, antike Ruinenstädte im Dschungel zu finden – das gibt es praktisch heute nicht mehr!

Auch in dem einst so entfernten, unbekannten und exotischen China gibt es nur noch wenig zu entdecken, was nicht schon die halbe Welt kennt! Selbst in den hintersten Dörfern im Himalaya sind Straßen, Internet und Handy-Empfang selbstverständlich. Und ich habe nicht nur einen Backpacker „abseits der Touristenpfade in China“ erlebt, der sauer war, als seine GPS-App nicht funktionierte oder er nicht auf Google zugreifen konnte.

Macht Euch frei und unabhängig von den eingefahrenen Vorstellungen, für die der Begriff „abseits der Touristenpfade“ steht! Schaut Euch mit offenen Augen um und entdeckt die Welt für Euch ganz neu!

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Ulrike
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5 Gedanken zu „Abseits der Touristenpfade in China? Wo liegt das?“

  1. Hallo Oli,
    Das ist ein interessanter Aspekt, das Entdecken auch in Verbindung mit den Gesprächen zu sehen. Leider ist das in China den meisten Reisenden nicht so einfach möglich und vielleicht auch nicht gewollt. Bei einigen organisierten Gruppenreisen in China habe ich erlebt, dass selbst teilnehmende China-Kenner kein Interesse an einem Gespräch mit den Reiseleitern oder mit den Einheimischen hatten.
    „authentisch“ und „abseits der Touristenpfade“ sind Begriffe, die in einem engen Zusammenhang stehen. Ich erlebe ja jeden Tag im Gespräch mit Kunden, wie oft danach gefragt wird. Es ist da immer sehr schwierig, eine entsprechende Reise zusammenzustellen. Es ist durchaus legitim, nicht in die großen Städte reisen zu wollen. Aber die Begründung, dass das nicht das „authentische“ China sei, ist eine falsche Denkweise.
    Orte, Plätze, Sehenswürdigkeiten „abseits der Touristenpfade“ findet man auch in den Städten.
    Außerdem stelle ich fest, dass das der durchschnittliche Reisende gar nicht will. In Peking z.B. ist Badaling oder Mutianyu, also bekannte, gut besuchte Stellen der Großen Mauer sehr viel beliebter und wird eher gebucht, als z.B. Huanghuacheng, das wunderschön ist, aber niemand kennt.
    LG
    Ulrike

  2. Schöner Text. Ich finde dieses ständige Geschrei am klassischen Backpackerstammtisch nach „abseits der ausgetretenen Touristenpfade“ auch eher etwas ermütend und bin da grundsätzlich ganz deiner Meinung. Die meisten Sehenswürdigkeiten sind in unterschiedlichem Grade überlaufen, weil sie – wie der Name schon sagt – eben tatsächlich sehenswert sind.

    Ohnehin habe ich das Gefühl, dass es den meisten eher um Exotik geht, was sie dann aber am Ende mit Authezität verwechseln. Das hast du ja in einem anderen Artikel mal sehr schön geschrieben, dass in einem Land, in dem grosse Teile in Städten wohnen, die Städte eben letztlich genauso oder vielleicht sogar authentischer sind als die von uns häufig verklärten Dörfer.

    Trotzdem finde ich, dass der Wunsch nach dem Entdecken legitim ist. Und ich glaube, dass es auch noch viel zu entdecken gibt. Nicht nur in China, sondern in der ganzen Welt. Aber dieses Entdecken muss nicht immer an Orte geknüpft sein. Je mehr ich unterwegs bin, desto spannender finde ich, in Gesprächen mit den Menschen andere Lebenswelten zu „entdecken“. Und ich glaube, hier kann man noch sehr viel entdecken.

  3. „Abseits der Touristenpfade“ ist ja im Grunde das gleiche wie der Geheimtipp, der keiner mehr ist, sobald man ihn öffentlich als solchen betitelt 😉

    Für mich ist ein Ort abseits der Touristenpfade erst mal ein Ort, an dem es nicht von Leuten (egal ob chinesisch oder westlich) wimmelt (Drängelei habe ich täglich schon genug in Shanghai und das möchte ich ja vermeiden, wenn ich die Stadt verlasse). Es darf übrigens gern jeder einmal dort gewesen sein, nur bitte nicht alle gleichzeitig.

    Außerdem ist das ein Ort, von dem ich online nicht jeden Tag mit Bildern und Artikeln überschüttet werde. Ich war z.B. in Peking natürlich auch in der Verbotenen Stadt und werde noch darüber schreiben – aber es war eben jeder andere Peking-Besucher auch dort und hat ähnliche Bilder und Infos gepostet wie ich. Man ist von solchen Orten dann irgendwann übersättigt – ein bisschen so wie das Lieblingslied, das man irgendwann nicht mehr hören mag, weil es wochenlang rauf und runter gelaufen ist. Aber das liegt zum Teil auch an der Blase, in der man sich bewegt. Ich war z.B. neulich in Thailand auch an berühmten Touri-Hotspots, aber da ich mich zuvor noch nie intensiv mit Thailand beschäftigt habe, waren die Orte für mich noch unverbraucht und kamen mir gar nicht so ausgetreten vor (obwohl das alles natürlich schon sehr touristisch war – schön war’s trotzdem).

    Wie auch immer, was mich interessiert, da fahr ich hin, egal ob ausgetreten oder nicht – wenn mir der Ort zu überlaufen ist, dann stelle ich ihn eben hinten an und versuche zu einem Zeitpunkt hinzufahren, an dem der Besucherandrang nicht so groß ist (also bloß nicht an den Feiertagen).

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