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Unsere Fahrt über den Irkeshtam-Pass wird zum großen Abenteuer.
Seidenstraße 2007 – Reisebericht
Über den Irkeshtam-Pass
Was für ein Tag! Für mich wird es richtig spannend. Denn gerade die Organisation der Grenzübertritte während der Seidenstraßen-Reise ist kompliziert und mit vielen Unsicherheiten verbunden. Wie schnell wird die Abfertigung am Irkeshtam-Pass sein? Wird der Übergang von Xinjiang nach Kirgistan im kilometerlangen Niemandsland funktionieren?
Es hat schon Gruppen gegeben, die rund zwei Kilometer zwischen chinesischer Grenzstation und der eigentlichen Grenze samt Gepäck haben zu Fuß gehen müssen, weil der chinesische Bus dort nicht fahren durfte.
Wie geht es dann in Kirgistan weiter? Wird uns der kirgisische Reiseleiter gleich an der Grenze erwarten? Oder an der kirgisischen Grenzstation, die noch ein paar Kilometer weiter liegt?
Natürlich schauen alle auf mich: Von mir wird erwartet, dass ich Ruhe und Gelassenheit ausstrahle. Dabei mache ich mir vor lauter Aufregung und Nervosität fast in die Hose. Das ist wörtlich zu verstehen. Ich leide unter Bauchschmerzen und Durchfall. Doch noch habe ich Tabletten, die wenigstens dieses Problem unter Kontrolle halten. Wer mich ansieht, wird nichts von dem inneren Aufruhr merken.
Der Weg zur Grenze
Der Tag fängt früh an, eine erste Herausforderung für mich. Kein Kaffee, kein Frühstück. Dafür ein Lunchpaket für unterwegs. Wir fahren über eine schier endlose Ebene in Richtung Westen. Die Landschaft ist öde, trocken, mit Steinen übersät. Ganz selten mal ein Dorf, umgeben von uigurischen Pappeln. Genau das richtige für ein Nickerchen im Bus! Wobei ich eigentlich zu nervös bin, um zu schlafen.
Auch unser chinesischer Reiseleiter Yang ist angespannt. Es geht darum, die chinesische Grenzabfertigung am Irkeshtam-Pass vor der Mittagspause der Grenzbeamten zu erreichen. Die dauert nämlich 2 Stunden. Eine lange Zeit, in der wir mitten in der Ödnis warten müssten.
Am Horizont die schneebedeckten Berge des Pamir, dahinter liegt Kirgistan! Ein passender Platz für ein Picknick findet sich nicht so schnell. Schließlich sollen ja auch ein paar Büsche dabei sein, hinter denen man kurz verschwinden kann. Endlich machen wir Halt und lassen uns am Rande der Straße nieder. Mit Blick auf einen kleinen Pappelwald und das Gebirge trinken wir frisch gebrühten Nescafe, essen Brötchen mit Käse, gekochte Eier, Tomaten und Gurken. Dank meines kleinen Salzvorrates bin ich sehr beliebt heute morgen. Yang hat reichlich heißes Wasser in großen Thermoskannen dabei. Schnell haben uns die halbwilden Hunde des nächsten Ortes gefunden: Sie freuen sich über die Fleischscheiben, die zu unserem Frühstück gehören, die aber keiner essen mag.
Dann fahren wir weiter, hinauf in die Berge. Die Gipfel werden immer höher, Pflanzen sind selten geworden. Der strahlendblaue Himmel bildet einen starken Kontrast zu den roten Felswänden. Die Berge schreien geradezu nach einem Foto. Fotostopp! Was für eine Landschaft! Was für Farben! Yang scheucht uns weiter. Die Zeit drängt!
Der Irkeshtam-Pass und die Grenzabfertigung
Wartende LKWs bereiten uns darauf vor, dass nun bald die Grenzstation erreicht ist. Wir haben es geschafft! Die Grenzbeamtem an der chinesischen Abfertigung beim Irkeshtam-Pass arbeiten noch! Es herrscht ein wenig Unsicherheit, wie wir von dort zur eigentlichen kirgisischen Grenze kommen, die noch einige Kilometer weit weg ist.
Reiseleiter Yang verspricht, für einen Transport zu sorgen. In der Zwischenzeit stellen wir uns den ausführlichen Grenzkontrollen. Wir müssen uns in der Reihe so aufstellen, wie wir auf dem chinesischen Gruppenvisum aufgelistet sind. Die Grenzbeamten sprechen nur wenig Englisch.
Ich muss erklären, warum die eine Teilnehmerin einen ‚grünen‘ Pass hat. Den grünen, vorläufigen Pass kennt man an den Grenzen anscheinend nicht. Da hatten wir schon Diskussionen an der Grenzabfertigung in Horgos.
Durch’s Niemandsland
Vor und hinter der Grenzstation stehen viele LKWs, die aussehen, als ob sie sich seit Wochen nicht bewegt haben. Ich frage mich, ob wir nun wirklich selbst die Koffer bis zum kirgisischen Grenzposten tragen müssen, denn eine Mitfahrt auf einem LKW scheint aussichtslos.
Da taucht plötzlich Yang wieder auf. Er hat mit den Grenzbeamten geklärt, dass unser Bus uns noch bis zur Brücke, der eigentlichen Grenze, fahren darf. Erleichtert steigen wir wieder ein. Ich freue mich, denn das war auch schon in der Vergangenheit immer wieder ein Anlass zu Beschwerden gewesen. Das wäre doch was, wenn dieses Problem endlich gelöst wäre!
Langsam fahren wir die Kurven zur Brücke hinunter, entlang an vielen hochbeladenen LKWs. Wie lange warten die schon? Worauf warten die? An der Brücke steigen wir aus. Der Bus kehrt um. Wir winken zum Abschied und wenden uns den neuen Abenteuern zu.
Wir werden noch einmal kontrolliert, nun von kirgisischen Soldaten. Mir ist ein wenig unheimlich, wenn ich die Jungs mit ihren Maschinenpistolen sehe. Unsere Pässe werden eingesammelt und genau geprüft. Währenddessen stehen wir rum und überlegen, wie wir weiter kommen, denn die kirgisische Grenzstation ist noch ein paar Kilometer entfernt. Unser Reiseleiter wollte bei den Kirgisen anrufen, damit die uns einen Wagen schicken.
Kirgistan!
Dann taucht tatsächlich ein Taxi auf, das 5 von uns mit Gepäck mitnehmen kann. Ich fahre gleich mit und verspreche, das Taxi sofort zurück zu schicken. Doch das brauche ich dann gar nicht, denn auch der kirgisische Reiseleiter kann mit seinem Bus bis zur Brücke fahren. Welch eine Erleichterung!
Die kirgisischen Grenzbeamten sind sehr genau: Es gibt zwar einen Computer, doch jeder Reisende wird zusätzlich noch handschriftlich in einem dicken Buch eingetragen und kurz befragt. Wahrscheinlich freuen sich die Soldaten, dass eine Touristengruppe ein wenig Abwechslung in ihren Alltag bringt.
Unterwegs auf dem Pamir-Highway
Schließlich sind alle Formalitäten auf der kirgisischen Seite des Irkeshtam-Pass erledigt und wir zwängen uns samt Gepäck in den 16sitzigen Minibus. Der ist eindeutig zu klein und so gibt es auch ein wenig Gemecker. Als ich meinen guten Platz zum Tausch anbiete, will aber keiner wechseln. Irgendwie scheinen alle zu glauben, ich hätte mir den verdient.
Also genieße ich die Aussicht auf die Berge rechts und links. Links (im Osten) sind die schneebedeckten Gipfel des Pamir zu sehen. Das Tal ist weit und liegt auf ca. 3.500 Meter Höhe. Der sog. Pamir-Highway ist eine schreckliche Schotterpiste und rüttelt uns alle ordentlich durch. Die Gipfel der Berge sind bis zu 7.000 Meter hoch. Eine atemberaubende Landschaft!
Als wir neben der Straße zwei Jurten sehen, halten wir an. Der Fahrer sagt, dass er die Familie, die hier wohnt, kennt und bittet uns in die eine Jurte. Kinder kommen neugierig näher. Ein Kirgise strahlt uns an. Als wir zögerlich die Jurte betreten, kommt die Hausfrau und reicht uns frisch gebackenes Fladenbrot.
Der Mann bietet Kumiss an, gegorene Stutenmilch. Das muss ich unbedingt probieren! Es schmeckt leicht säuerlich, ist aber nicht wirklich mein Ding. Ich frage mich, welche Auswirkungen das auf meinen Magen haben wird, der drohend grummelt.
Die Jurte ist geräumig und mit bunten Teppichen ausgelegt. An den Wänden sind Decken in leuchtenden Farben für das Nachtlager ordentlich gestapelt. Draußen lachen die Kinder und ein Esel schreit. Durch die Luft zieht der Duft der Kuhdungbriketts, mit denen das Feuer vor der Jurte genährt wird. Leider ist eine Unterhaltung kaum möglich, auch der junge, ungeübte Reiseleiter erklärt nicht viel.
Als wir zum Abschied der Hausfrau einen kleinen Geldbetrag schenken wollen, lehnt sie lächelnd ab. Gastfreundschaft wird hier noch groß geschrieben. Der ungefähr 14 Jahre alte Sohn scheint geschäftstüchtiger. Er steckt die Geldscheine heimlich ein.
Sary Tash, das Dorf der Nomaden und LKWs
Die Fahrt geht weiter durch die atemberaubende Landschaft. Am nächsten Hügel allerdings müssen wir aussteigen, der Bus schafft den Anstieg nicht. Beim 3. Versuch klappt es endlich.
Am Nachmittag kommen wir in Sary Tash an, wo wir übernachten werden. Sary Tash ist eine Siedlung mit einigen festen Häusern und ein paar Jurten. Fließend Wasser und Kanalisation gibt es nicht, aber Elektrizität und Fernsehen. Große Satellitenschüsseln stehen vor fast jedem Haus. Der Ort bezieht seine Daseinberechtigung vom Pamir Highway. Die LKW-Fahrer machen hier gerne Pause. Ansonsten bieten die Hütten eine feste Wohnung für die örtlichen Nomaden.
In Sary Tash gibt es kein Hotel. Wir übernachten in den Gastzimmern einer Familie. Drei Zimmer mit dicken Matratzen auf dem Boden und kuscheligen Decken stehen uns zur Verfügung. Für das Abendessen gibt es eine Jurte mit einem flachen Tisch. Auch hier kann man übernachten. Diese Gelegenheit nutzen vier von uns. Ein kleiner Waschtisch ist die Waschgelegenheit. Alles ist sehr sauber und neu.
Unsere Unterkunft in Sary Tash
Abendessen und Frühstück sind ausreichend. Woher die Leute hier wohl Tomaten und Gurken bekommen? Gefüllte Teigtaschen, die mich an die indischen Samosas erinnern. Dazu ein starker süßer Tee. Herrlich! Die Anspannung des Tages fällt von mir ab.
Ein bisschen Unruhe gibt es in der Gruppe wegen der doch primitiven hygienischen Anlagen. Zwei eigentlich sehr saubere Plumsklos werden nur widerwillig akzeptiert. Und diese seltsame Waschanlage! Sie wird von den netten Gastgebern mit warmen Wasser gefüllt. Hei! Das ist doch toll!
Und manch ein Teilnehmer hat schon lange nicht mehr sein Zimmer mit Fremden geteilt. Ich mag die bunten Matratzen und Teppiche sehr. Es sind genügend warme Decken da, so dass auch bei den nächtlichen Minusgraden niemand frieren muss.
Die Hütte ist extrem sauber. Ich muss allerdings speziell dafür sorgen, dass die Leute ihre Schuhe beim Betreten ausziehen. Auch in der Jurte, in der wir essen, setzt man sich ohne Schuhe hin. Es sind genügend Matratzen für alle in der Hütte vorhanden. Doch einige ziehen es vor, in der Jurte zu schlafen. Kein Problem!
Der Pamir am frühen Morgen
Als ich nach der Nacht in dem warmen und kuschligen Matratzenlager fröstelnd vor das Haus trete, bin ich überwältigt von den ersten Sonnenstrahlen, die auf den Gletschern des Gebirges leuchten. Hier liegt alles noch im dunklen kalten Morgengrauen und da drüben strahlen die Gipfel der Siebentausender! Einer davon soll der Pik Lenin (7.124m) sein. Welcher das ist, ist mir ehrlich gesagt beim Anblick von soviel Schönheit völlig egal.
Im Morgenlicht brechen die ersten Nomaden zu ihren Herden auf. Atemlos mache ich Fotos. Wahnsinn! Ich, die Stadtmaus, in dieser wilden Landschaft! Leicht frierend kehre ich zur Jurte zurück. Im Waschstand ist schon warmes Wasser eingefüllt. Trinkwasser steht bereit zum Zähne putzen. Was brauche ich mehr?!
Zum Frühstück gibt es Reisbrei mit Kirschkompott. Und Nescafe! Ich bin heute morgen sehr entspannt und glücklich. Auch die übrigen Teilnehmer sitzen gut gelaunt am Frühstückstisch. Positive Überraschung: Für die Weiterfahrt steht ein zweiter Minibus bereit! So kann es weiter gehen!
Links
- Zur vorhergegangenen Etappe: Kashgar Sonntagsmarkt
- Nächste Etappe: Kirgistan – Fahrt nach Osh
- Ein schöner Reisebericht mit vielen Infos zur Fahrt von Kirgistan nach China.
- Kaffee in China – eine erstaunliche Entwicklung - 6. Oktober 2024
- Der Orient: Länder der Seidenstraße - 29. September 2024
- Shanghai Pass für ganz China! - 22. September 2024
Das war ein tolles Erlebnis! Die Alpen sind auch schön. Und Du zeigst die SChönheit mit Deinen Fotos sehr beeindruckend. LG Ulrike
Was für eine atemberaubende Landschaft! Wahnsinn! Im Vergleich dazu sind die Berge meiner Heimat lediglich höchst bescheidene Hügelchen. 😉