Ausstellung UnBinding Bodies

Lotosschuhe und Korsett

Wieder einmal hat das Museum am Rothenbaum MARKK ein spannendes Ausstellungsthema gefunden, das man eher selten in deutschen Museen findet: Die Lotosfüße der chinesischen Frauen.

Vor mehr als 1000 Jahren nahm die Tradition der kleinen Frauenfüße ihren Anfang. Über die Jahrhunderte hinweg entwickelten sich Techniken und Methoden, die Füße klein und damit „schön“ zu halten. Bis dann weite Teile der Bevölkerung, vor allem die Han-Chinesinnen, dies als Schönheitsideal ansahen.

Lotosschuhe
Länge 10,6 cm Hersteller:innen nicht dokumentiert, China 19. Jh. Sammlung C.W. Lüders Inv.Nr. A 145 © MARKK

Die Ausstellung Lotosschuhe und Korsett

Das Museum zur Ausstellung

„Die Ausstellung untersucht die Praxis des Füßebindens vor dem Hintergrund der Sozial-, Kolonial- und Medizingeschichte und hinterfragt vorschnelle Bewertungen. Ein Fokus liegt auf dem Wechselspiel von Selbst- und Fremdwahrnehmungen und der Verflechtung chinesischer und europäischer Emanzipationsbewegungen: Parallel zu den Initiativen zur „Fußbefreiung“ kämpften Frauen in Europa gegen das Korsett. Die vom TA T – Raum für forschende Ausstellungspraxis in Zusammenarbeit mit dem MARKK entwickelte Ausstellung nimmt die agency der Frauen ernst und gibt ihnen eine Stimme. Künstlerische Positionen von kate-hers RHEE, Zhang Gong und Zhang Rui treten in einen Dialog mit den Exponaten und öffnen die Perspektive auf Schönheitsnormen und die Zurichtung von Körpern in der Gegenwart.“ MARKK

Frau mit Lotosfüßen auf dem Fahrrad.
Junxiao Qin (c)

Das erste, was man sieht, ist ein großes Foto einer Frau, die mit ihren kleinen Füßen Fahrrad fährt. Es sei ein besonderes Anliegen der Ausstellung zu zeigen, dass die betroffenen Frauen nicht verkrüppelt im Haus bleiben mussten, auf einen Rollstuhl angewiesen oder gar ans Bett gefesselt waren.

Nein, die meisten Frauen führten ein fast normales Leben, konnten sich bewegen und sogar Sport treiben, wie entsprechende Fotos und Aussagen der Frauen selbst zeigen. Aber einfach war es nicht.

In der Zeit um 1900 fühlten sich manche Reisende bemüßigt, Fotografien der kleinen Lotosschuhe in die Heimat zu schicken, wenn sie nach China kamen. Auch diese sind ausgestellt. Es war die Sensationslust, die auch ein Interesse an körperlich verkrüppelten Menschen hatte. Das ist uns auch heute nicht fremd.

Diese und auch die Missionare, die zur gleichen Zeit u.a. gegen Sitte der gebundenen Füße angingen, werden deutlich dargestellt.

In der Ausstellung

Im Wesentlichen aber werden die Lotosschuhe gezeigt, die Vielfalt der Formen und Stickereien. Durchaus schön.

Es werden überall Chinesen zu den Lotosfüßen zitiert. Das finde ich sehr schön und angemessen. So wird nicht der koloniale Blick, sondern das eigene Empfinden der Chinesen gezeigt.

Man hat sogar ein Zitat eines Chinesen über die Korsetts der Europäerinnen gefunden. Aber insgesamt kommen die Korsetts, die in der Überschrift dieser Ausstellung gleichwertig neben den Lotosschuhen stehen, etwas zu kurz. Es geht eindeutig um die Lotosfüße.

Lotosschuhe
Lotosschuhe (c) MARKK

In einem weiteren Teil wird der geschichtliche Zusammenhang dargestellt, die anatomischen Auswirkungen und die gesellschaftlichen Probleme, die die Gegenwart bietet. Denn die moderne Welt, die das Füßebinden als imperialistisches Vergehen ächtete, brachte neue Probleme mit sich.

In den letzten Jahrzehnten hat sich das verändert. Die wenigen Frauen mit Lotosfüßen, die noch leben, genießen Achtung und Verständnis. Sofern sie gehen können, haben sie Möglichkeiten zum Sport und anderen Dingen. Letztendlich können sie ihren Lebensabend wie die meisten alten Frauen in China genießen.

Auch Künstler kommen zu Wort und helfen das Trauma zu verarbeiten.

Das soll nur ein kurzer Einblick in die Ausstellung sein, die klein aber hochinteressant ist, Wenn Du noch mehr über die Sitte der Lotosfüße wissen möchtest, besuche die Ausstellung oder schau Dir meinen ausführlicher Artikel auf dem Bambooblog an: Lotusfüße – ein schreckliches Schönheitsideal.

Kritik

Es werden bei anderen Kulturen Körperverändernde Massnähmen häufig abwertend als rückständig betrachtet, während vergessen wird, dass vergleichbare Praktiken wie das Tragen eines Korsetts auch in unserer Kultur eine lange Tradition und bis heute eine breite gesellschaftliche Akzeptanz haben, schreibt das Museum.

Das mag weitestgehend richtig sein. Aber eines wird dabei übersehen. Korsett und viele anderen „Körpermodellierungen“ werden bei Erwachsenen vorgenommen. Ein kleines Mädchen kann sich nicht gegen die Qualen des Füße Bindens wehren. Es kann es akzeptieren und als erwachsene Frau damit leben lernen. Aber das Trauma bleibt.

Der Vergleich also mit dem Korsett (wovon nur eines ausgestellt ist) hinkt, denn im Gegensatz zu den Füßen wird es erst geschnürt, wenn das Mädchen schon älter ist. Ich würde, wenn man überhaupt einen Vergleich ziehen will, das Füßebinden der Beschneidung gegenüberstellen.

Bei der Beschneidung wird dem kleinen Mädchen etwas angetan, gegen das es sich nicht wehren kann. Die Maßnahme wird mehr oder weniger radikal durchgeführt und hat entsprechenden Einfluss auf das Leben der Frauen. Es ist nur nicht so offensichtlich und mit religiösen Mythen verschleiert.

Verkrüppelter Fuß
(c) MARKK Paul Schimweg

Verharmlosung?

Was ich aber am Schlimmsten an dieser Ausstellung finde ist, dass man zwar eine Beschreibung der Qualen beim Füße Binden zeigt, aber in Hellblau auf der weißen Wand! Das ist kaum leserlich!

Ich fragte eine der Kuratorinnen dazu. Sie meinte, man wolle Rücksicht auf empfindliche Gemüter nehmen. Menschen könnten einen Schock davon bekommen. Aber das gehört doch dazu! Wenn man die Augen verschließt vor solchen Qualen, so verliert man viel an Empathie und den Willen, das zu ändern.

Wir werden täglich mit Elend und Katastrophen konfrontiert, aber im Museum soll das bei entsprechenden Themen verschleiert werden? Ein Museum ist nicht dazu da, uns eine weichgespülte Welt zu zeigen.

Noch eine Anmerkung: Es ist öfter von „Körpermodelierung“ die Rede, was meiner Meinung ein viel zu harmloser Begriff ist. Er setzt die Lotusfüße auf eine Ebene mit Tatoos und Piercings. Das verharmlost.

Trotzdem: Es ist eine interessante Ausstellung – unbedingt sehenswert!

Info

Ausstellung UnBinding Bodies 09.09.2022 bis 26.02.2023

https://markk-hamburg.de/ausstellungen/unbinding-bodies/

Links

Ulrike
Letzte Artikel von Ulrike (Alle anzeigen)

Ich freue mich auf Deinen Kommentar!