Zuletzt aktualisiert vor 10 Monaten
Die Diskussionen über eine Blacklist, die Orte und Länder aufzählt, wo manche Leute niemals hinfahren wollen, aus vielerlei Gründen, haben mich zum Nachdenken angeregt. Vorab: Ich lehne solche Listen von ganzem Herzen ab! Ich bin der Meinung, dass kaum ein Ort so schlimm sein kann, seine Menschen so furchtbar, dass man da nicht doch hinreisen könnte. Auf jeden Fall lohnt es sich immer, sich vor Ort selbst ein Bild zu machen, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und mit ihnen über ihre persönliche Situation zu sprechen.
Trotzdem: Gibt es einen solchen Ort, wo ich nie hin wollte und wohin ich auch nie wieder zurück kehren möchte?
Welche Gründe könnten mich davon abhalten, einen Ort zu besuchen?
Langeweile
Es gibt Orte, die mich nicht besonders reizen. Ich brauche halt eine Mindestmenge an Museen, Tempeln, Ausgrabungen um mich. Deshalb werde ich wohl auch nicht so schnell Geld dafür ausgeben, um die Malediven zu besuchen oder manche Karibikinsel.
Ich habe wirklich mal einen Flug nach Bermuda, den ich gewonnen hatte, verfallen lassen. Grund: Bermuda reizt mich einfach nicht. Die Kosten, die über das spendierte Ticket und zwei Nächte in einem tollen Hotel hinaus gingen, standen für mich in keinem Verhältnis zu dem persönlichen Urlaubswert. Ich würde allerdings nie behaupten, dass diese Orte nicht schön sind oder für andere nicht interessant sind. Wie schön, das die Menschen so unterschiedlich sind!
Krieg und Unruhen
So sehr mich Orte und Länder wie Afghanistan oder der Libanon oder Israel reizen, ich will da nicht hin! Ich begebe mich erstens nicht mutwillig in Gefahr und zweitens würde mich die Zerstörung in z.B. Bamiyan (Afghanistan) so sehr belasten, dass ich den ganzen Tag weinen müsste. Das sind nicht die besten Voraussetzungen für eine interessante und erfüllende Reise.
Armut
Ich habe immer ein ungutes Gefühl, wenn ich als „reiche“ westliche Frau durch Slums oder andere Gebiete extremer Armut gehe. Dabei verschließe ich meine Augen nicht. Auch in China habe ich schon schlimmste Armut gesehen. Es gibt in jedem Land Orte mit Armut. Da muss ich abwägen, ob ich dahin will. Als neugierige reiche Touristin.
Das grenzt dann schon an die Sensationslust, an die Gier, Spektakuläres zu sehen, was hier in europäischen Fernsehsendern so gerne mit der Abbildung von Krankheit, Missbildungen und Ungewöhnlichem einhergeht. Ich werde mir nie bewusst ein Land wie z.B. Bangladesch freiwillig für eine Reise aussuchen. Davon abgesehen engagiere ich mich stark bei der Bahnhofsmission in Hamburg für Obdachlose und Arme.
Trotz alledem: Eine Blacklist gibt es für mich nicht! Es gibt nur Länder, die mich mehr oder weniger interessieren.
Beispiel Nanchang – gedachte Kategorie Langeweile
Hier ein Beispiel, wie sich eine Stadt, die mich wirklich nicht reizte, die ich überhaupt nicht auf dem Plan hatte, die sogar mein Reiseführer nur mit einem Nebensatz erwähnte, zu einem Highlight meiner Großen Asienreise 1991/93 wurde:
Nanchang, die Hauptstadt der chinesischen Provinz Jiangxi. Gedachte Kategorie „Langeweile“. Ihr habt noch nie von Nanchang gehört? Auch Jiangxi ist Euch kein Begriff? Dabei gibt es in der Provinz Jiangxi so interessante Städte wie Jingdezhen (berühmt für feinstes Porzellan) und den Lushan, ein Gebirge, das UNESCO-Welterbe ist und jeden Chinesen begeistert. Aber diese Orte stehen selten auf den Plänen organisierter Rundreisen durch China. Auch der Lonely Planet Guide ist da eher sparsam mit seinen Hinweisen.
Trotzdem: Im Oktober 1991 verschlug es mich auf meinem Weg von Jingdezhen nach Changsha nach Nanchang. Wenn ich in Jingdezhen damals eine Fahrkarte bis nach Changsha bekommen hätte, was der Plan war, hätte ich so einiges nicht erlebt. Aber nein! Ich bekam nur eine Fahrkarte bis Nanchang und sollte dort umsteigen. Das bedeutete damals, dass ich mir erst in Nanchang die Fahrkarte für die Weiterfahrt kaufen konnte. Die bekam ich aber nur für zwei Tage später.
Nationalfeiertag in Nanchang
Es war der 1. Oktober, Chinas Nationalfeiertag. Die Stadt war mit bunten Luftballons geschmückt und machte gleich einen fröhlichen Eindruck. In dem Trubel auf dem Volksplatz im Zentrum sangen Soldatenchöre Lieder, machten Familien mit hübsch herausgeputzten Kinder einen Spaziergang. Ich sah Hütchenspieler und schaute bei einem selbstgemachten Glücksrad zu. Ich war völlig fasziniert von der Ursprünglichkeit der festlichen Stimmung.
Ja, es gab auch eine Sehenswürdigkeit, einen alten Pavillon, in dem schon vor Hunderten von Jahren Dichter und Philosophen sich austauschten. Sehr schön mit alten Möbeln und blühenden Pflanzen ausgestattet.
Ausgerechnet in Nanchang kam ich schnell in Kontakt mit den Einheimischen. Wahrscheinlich freuten die sich sehr, mal eine Ausländerin zu treffen. Man sprach mich an, bemühte sich um ein paar Worte Englisch. Ich war ganz in meinem Element und probierte auch schon mal ein wenig Chinesisch zu sprechen.
Party im Park
Absolutes Highlight war eine Party, zu der ich im Volkspark spontan eingeladen wurde. Ich durfte Fotos machen, Limonade trinken. Eine der Teilnehmerinnen sprach ein wenig Englisch. Es war einfach großartig!
Mit anderen Worten: Ich empfehle den Besuch von Nanchang! Diese Stadt würde ich niemals auf eine Blacklist setzen!
Zum ausführlichen Reisebericht über meine Zeit in Nanchang
Fazit
Wenn ich also heute an Nanchang zurück denke, erinnere ich mich an zwei äußerst interessante Tage, an tolle Menschen, Sonne und eine faszinierende Stadt. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, werde ich Nanchang gerne wieder besuchen!
Deshalb denke ich, dass man überall interessante, besondere Eindrücke erleben kann. Wichtig ist es, dass man offen ist für diese Eindrücke und sich nicht durch Vorurteile und vorgefasste Erwartungen den Blick verstellen lässt.
Eine Blacklist macht keinen Sinn und wird von vernünftigen Menschen nicht propagiert.
Zu unserer Aktion „Blogger gegen Rassismus“, in der ich weitere Gründe aufführe, die gegen eine Blacklist sprechen.
Blogparade: Ich beteilige mich mit diesem Beitrag an der Blogparade „Meine ReiseEntpfehlung“ von Worldonabudget in der Hoffnung, dass dort nicht gerade eine solche „Blacklist“ entsteht.
Links
- Orte, an die ich nicht mehr zurückkehren möchte
- Schönste Orte in China
- Katastrophentourismus – wie geil ist das denn?
- Was mich das Reisen gelehrt hat
- Kaffee in China – eine erstaunliche Entwicklung - 6. Oktober 2024
- Der Orient: Länder der Seidenstraße - 29. September 2024
- Shanghai Pass für ganz China! - 22. September 2024
Hallo Kasia, schön, dass du auf diesen Artikel gestoßen bist! Und du hast völlig recht! Viele Enttäuschungen resultieren aus zu hohen Erwartungen.
LG
Ulrike
Hallo Ulrike,
ja, da bestätigt sich’s mal wieder: die beste Zeit hat man, wenn die Erwartungshaltung keine Rolle spielt. Denn oft ist das Kopfkino vor der Reise zu berühmten oder schon seit langem sehnsüchtig erwarteten Zielen viel größer als die anschließende Realität. Ich sag mal so: auch die schönstes Strände der Welt bestehen letztendlich nur aus Sand Je geringer, wie in deinem Fall, die Erwartung, umso freier ist man, um sich positiv überraschen zu lassen Liebe Grüße und weiterhin schöne Reisen
Kasia
Ja, das hast Du recht. Und solche Erlebnisse können überall und jederzeit passieren.
Klasse: Ein Holzfällerwettbewerb in Kanada! So stellt man sich das Land doch vor!
Beste Grüße
Ulrike
Super. Das ist doch das tolle an Reisen, dass es plötzlich und völlig unerwartet etwas total cooles erlebt oder sieht. Ich bin in Kanada mal über so was gestolpert. Ich war grad dabei mich in dem Ort umzusehen, als ich plötzlich Musik hörte. Ich näherte mich und stand plötzlich mitten in einer Holzfällerweltmeisterschaft. Mit Ketten- und Handsägen haben die um die Wette gesägt. Am Rande der Veranstaltung gabs über offener Flamme gegrillte Burger und alle waren guter Laune.
Genau solche Erlebnisse geben dem Reisen seine besondere Würze. Toll, wenn man das erleben kann. Danke fürs Teilen Deines unerwarteten Erlebnisses. Ich habe ganz begeistert gelesen.
Ja, heute sehe ich Nanchang als Highlight. Ich war schon in vielen Orten, wo manche Leute nie hin wollen. Darunter einige schreckliche Städte in der damaligen UdSSR. Aber immer bin ich wirklich netten, interessanten Menschen begegnet. Diese Begegnungen machen für mich das Reisen schön…
LG
Ulrike
Hallo Ulrike,
lieben Dank für deine Teilnahme! Auch wir hoffen nicht, dass sich aus unserer Blogparade eine ‚Blacklist‘ entwickelt. Vielmehr sind wir auf Geschichten wie deine gespannt, die zeigen, dass vorher „entpfohlene“ Orte sich zu wahren Highlights einer Reise entwickeln können. Schön, dass du Nanchang trotz der vorher befürchteten Langeweile eine Chance gegeben hast, bzw. geben musstest 😉 Man sollte sich halt immer ein eigenes Bild machen!
Liebe Grüße
Marie
Genau! Und manchmal denke ich, dass gerade solche zuerst skeptisch ins Auge genommenen Reisen/Orte dann wirkliche Highlights sind.
Gute Reise weiterhin
Ulrike
Ich habe oft dieselben Vorbehalte gegenüber bestimmten Reisezielen oder -arten. Glamping und Kreuzfahrten hielt ich z.B. für völlig verzichtbar. Dann hab ich sozusagen „aus Versehen“ beides ausprobiert und war begeistert (zumindest auf persönlicher Ebene – dass es u.U. ökologisch fragwürdig ist, steht natürlich auf einem anderen Blatt).
Jedenfalls stimme ich dir zu, dass man sich mit Blacklists oft genug selbst um tolle Erfahrungen bringt.
och, da bin ich recht schmerzbefreit. Kreuzfahrten können toll sein. Zum Beispiel an der norwegischen Küste entlang.
Bei mir sind es die gleichen Gründen, die mich von manchen Urlaubsreisen abhalten. Ich könnte zum Beispiel nie zwei Wochen in einem eingezäunten „Urlaubsparadies“ in DomRep verbringen, oder eine Reise auf einem Kreuzfahrtschiff machen. Ich glaube, da würde ich krank werden vor Langeweile und Überdruss. 😉