Aus der Zeit gefallen: Boizenburg

Zuletzt aktualisiert vor 10 Monaten

Mein nächster 9€-Ausflug führt mich nach Boizenburg. Eine Reise zurück in der Zeit, in fast vergessene Epochen. Als Hamburgerin, als Großstadtmaus ist es immer wieder spannend, in die Kleinstadt zu fahren und einen alten Ort abseits des Tourismus zu entdecken!

Boizenburg, der alte Ort mit Kirche.

Schon alleine der Name! Geheimnisvoll. Nie gehört. Klang er nicht nach Rittern, alten Märkten und kleinen, rosengeschmückten Gassen? Also auf nach Boizenburg!

Zeitreise

So kam es also, dass ich ein Städtchen vorfand, in dem die Zeit stehen geblieben schien. Wenn nicht gerade Altstadtfest und Schützenproklamation gewesen wäre, hätte ich an so einem schönen Sonntag kaum einen Menschen gesehen.

Ich gönne mir ein Bier auf dem Marktplatz und schaue mich um. Das Altstadtfest hat am Sonntagmorgen gerade geöffnet. Aber 3 Bierstände schenkten an die noch nicht so zahlreichen Besucher aus. Ein Stück Pizza, lecker, luftig, gar nicht fettig, ist mein spätes Frühstück.

Altstadtfest in Boizenburg mit Rathaus und Karussel

Verwundert gucke ich auf die Pizza. Warum ist sie Highlight, nicht die hübschen Häuschen? Vorn vor der Kirche wird letzte Hand an den Aufbau einer Bühne gelegt.

Es gibt kaum Läden, aber ne Menge Cafes und Restaurants. Trotzdem – Touristen gibt es kaum. Nur ältere Paare, Einheimische…

Langsame gehe ich um die Kirche. Es ist schon mittag, geschlossen. Das Museum ist noch geschlossen. Das Fliesenmuseum an der Hauptstraße auch. Aber es öffnet um 14:00 Uhr. Ich merke es mir vor.

Weiter gehe ich, komme zu einem winzigen Hafen, in dem kleine Boote vor sich hinschaukeln. Schon befinde ich mich ausserhalb der Wallanlagen. Vögel zwitschern, Schwalben fliegen tief über Gräben und Tümpeln. Schmetterlinge.

Hafen von Boizenburg.

Der „Weidenschneck“. Eine Naturbühne, auf die Boizenburg ziemlich stolz ist, liegt verlassen. Kunstvolle Weidenstrukturen, Biber aus Holz.

Biber

Fahrradfahrer überholen mich. Dann kehre ich über eine Brücke in den Ort zurück. Ich setze mich auf eine Bank, die von Rosen gesäumt ist. Die Gasse liegt ruhig, von irgendwoher klingt Kinderlachen.

Dann gehe ich zum Marktplatz zurück. Auf dem Weg dahin besuche ich das Fliesenmuseum. Man freut sich sichtlich, dass sich ein Besucher hierher findet. Auch das Heimatmuseum finde ich endlich geöffnet.

Kirche von Boizenburg

Altstadtfest und Proklamation des Schützenkönigs

Mit großem Trara ziehen die Schützen auf den Marktplatz. Stolz geschwellte Brüste, prächtige Orden, schlecht sitzende Uniformen.

Schützen

Der Marktplatz hat sich gefüllt mit älteren Paaren und Familien mit Kindern. Dazwischen scheint es kaum etwas zu geben. Die Cafes sind gut besucht.

Die Ansprachen erinnern an längst vergangene (?) Zeiten, als militärischer Drill in der Zivilbevölkerung noch hoch im Kurs standen. Oder kommt es mir nur so vor?

Ich bemerke positiv, dass Rollstuhlfahrer im Spielmannszug und bei den Schützen mitgeschoben werden. Auch wenn eine Schützenkönigin gekrönt wird, scheint die Veranstaltung doch männlich dominiert zu sein.

Schützen Boizenburg

Abschied und Rückfahrt

Auf dem Rückweg werfe ich noch einen Blick ins Heimatmuseum, das hauptsächlich von der DDR berichtet. Dann blicke ich noch einmal auf die Wallanlagen, von denen nur der Graben mit seinen vielen romantischen Brücken übrig ist.

Mit dem Bus fahre ich zurück zum Bahnhof. Dort erwartet mich die ganze Wucht der 9€-Nichtplanung der Bundesbahn. Erst wird der Zug mit einer Verspätung von 45 Minuten angekündigt. Na, macht nichts, denke ich. Ich habe ein spannendes Buch dabei.

Als die Verspätung auf 90 Minuten angewachsen ist, wird nicht mehr angesagt. Nur dank der App. erfährt man von weiteren Verspätungen. Schließlich beschließt eine Frau, deren Mann eigentlich in Boizenburg bleiben wollte, ihn samt Auto zum Bahnhof zu zitieren. Dort soll er sie und eine junge Frau, die mit ihren 3 Monate alten Baby wartet, nach Hamburg fahren. Und da noch ein Platz im Auto frei ist, darf ich mitfahren. Juchhu, so komme ich zu einer bequemen Fahrt nach Hause!

Wallanlage
Alte Wallanlagen, in der Mitte die ehemalige Synagoge

Wer sich nun fragt, ob und wo sich das moderne Boizenburg versteckt hat: Das findet man außerhalb der Wallanlagen mit Aldi und Co.!

Boizenburg Geschichte

Die älteste Erwähnung als „territorio boyceneburg“ findet sich in einer Urkunde Heinrich des Löwen von 1171 Doch man hat auch ältere Siedlungsspuren in dem Gebiet gefunden.

Dabei ist nicht klar, ob der Name vom germanischen Flussnamen „Boize“, in dem das Wort Buche steckt, herkommt oder vom slawischen „Umkämpfter Fluss“ (Boi).

Im 9. Jahrhundert verlief ein Fernweg vom Harz in den Ostseeraum, der bei Gothmann die Elbe und dann im heutigen Stadtgebiet die Boize querte. Ob aber neben dem Burgwall bereits zu slawischer Zeit eine Siedlung bestand, konnte bislang durch Ausgrabungsfunde noch nicht belegt werden.

Boizenburg

Es entstand eine einfache Burg, in der wenig später eine Zollstelle eingerichtet wurde, aus der der Salzhandel zwischen Lüneburg und dem Ostseeraum auf dem Boizenburger Frachtweg besteuert wurde.

Drumherum siedelten sich slawische Bauern und Händler an. Doch das blieb nicht lange so. Im 12. und 13. Jahrhundert gehörte Boizenburg mal zu Schwerin und mal zu Ratzeburg. Die Kaufmannssiedlung erhielt 1267 das Lübecker Stadtrecht. In dieser Zeit lebten bereits jüdische Familien in der Stadt. Mehrfach wurde Boizenburg von der Pest heimgesucht.

1627, während des Dreißigjährigen Krieges, war Boizenburg das Hauptquartier des dänischen Königs Christian IV. und das Heerlager der unter seinem Befehl stehenden Truppen.

Auch verschiedene verheerende Brände prägten das bewegte Schicksal Boizenburgs.

Am 15. Oktober 1846 fand die Inbetriebnahme des 222 Kilometer langen Eisenbahn-Streckenabschnittes Berlin-Boizenburg statt. Bis zur Fertigstellung der Strecke nach Hamburg war Boizenburg Endstation.

Die letzten 100 Jahre

Im Januar 1903 gründete der Bremer Hans Duensing die Boizenburger Plattenfabrik. Mit 48 Arbeitskräften, vorwiegend Glasurfachkräfte und Brenner, fertigte das Werk vorerst Hartsteingutgeschirr. Ein Jahr später wurde die Produktion auf Steingutwandfliesen umgestellt. Mit der Gründung der Fliesenwerke zogen viele katholische Arbeiter vor allem aus Oberschlesien nach Boizenburg.

Boizenburg alte Strasse

Während der Nazizeit war Boizenburg völlig in den Händen der Nazi. Während des Krieges wurde der Ort kaum bombadiert. So blieb das Städtchen erhalten.

Nach dem Krieg 1947 lebten über 4.100 Kriegsflüchtlinge und Vertriebene in der Stadt. Ein Großteil der Flüchtlinge wurde im ehemaligen Reichsarbeitsdienstlager, heute Sportplatz Am Grünen Weg, und in den ehemaligen KZ-Baracken auf dem Elbberg untergebracht.

Boizenburg gehörte zur Sowjetischen Besatzungszone und dann zur DDR. Boizenburg lag bis in die 1970er Jahre im Sperrgebiet entlang des Verlaufes der innerdeutschen Grenze. Der erste Kontrollpunkt lag zwischen Zahrensdorf und Neu Gülze. Reisen nach Boizenburg unterlagen einem strengen Kontrollregime und wurden nur nach Antragstellung genehmigt. Für die Einreise in die Fünf-Kilometer-Sperrzone war stets ein Passierschein notwendig. Zudem waren Hafen- und Grenzbesichtigungen nicht gestattet.

Bis 1988 wuchs die Bevölkerung auf über 12.000 Menschen an (Vor dem Krieg waren es rund 7.000.) Nach der Wende sank die Zahl auf 10.000 und blieb ziemlich konstant.

https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_von_Boizenburg

Das Heimatmuseum von Boizenburg

Nach wechselvoller Vergangenheit werden die Sammlungen seit Oktober 2005 in dem denkmalgeschützten Bürgerhaus Markt 1 präsentiert, das dem Schweriner Schloßbaumeister Georg Adolf Demmler zugeschrieben wird.

Erinnerungen an die DDR
Erinnerungen an die DDR

Die Ausstellung bietet u.a. einen schönen Überblick über das Schicksal des Ortes im Zonenrandgebiet.

Mai – September
Montag: Ruhetag
Dienstag – Freitag: 10:00 – 12:00 Uhr & 14:00 – 16:00 Uhr
Samstag & Sonntag: 14:00 – 17:00 Uhr

Oktober bis April: Nicht ganz so oft geöffnet.

Der Eintritt ist frei.

Mir fehlten ein wenig die prähistorischen Artefakte. Das soll aber noch kommen.

Museum Boizenburg

Alter Kaufmannsladen
Alter Kaufmannsladen

Fliesenmuseum

Ein Höhepunkt des Ortes ist das Fliesenmuseum, das die über 100jährige Geschichte der Fliesenfabrik ausführlich darstellt. Es heißt mit vollem Namen Erstes Deutsches Fliesenmuseum Boizenburg.

Fliesenmuseum

Stolz verkündet man: „Das Fliesenmuseum ist eine besondere Kulturstätte von internationaler Bedeutung.“

Und tatsächlich sind die Fliesen wunderschön! Manche gleichen dem berühmten Delfter Porzellan, manche wirken wie vollendete Gemälde. Natürlich erfährt man auch einiges über die Herstellung.

Tausende Fliesen im Stile des Historismus, des Jugendstils und des Art Déco. Einblicke in Fertigungs- und Dekorierverfahren sowie in sozialgeschichtliche Wandlungen ergänzen das Gesamtbild. Kabinettausstellungen bieten Exkurse in die Vielfalt der Geschichte der Fliesenkunst bis zur Gegenwart. Jährlich findet mindestens eine öffentliche internationale Fliesensammlerbörse statt.

Öffnungszeiten

Montag: Ruhetag
Dienstag bis Freitag: 10.00 Uhr bis 16.00 Uhr durchgehend geöffnet

Samstags und Sonntags
von Juli bis August:
 14.00 bis 17.00 Uhr
von September bis Juni: 14.00 bis 16.00 Uhr

Eintrittspreis 4,- €

Fliesenmuseum Boizenburg

Links

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Ulrike

2 Gedanken zu „Aus der Zeit gefallen: Boizenburg“

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