Zuletzt aktualisiert vor 1 Jahr
Paläste in China? Schlösser? Ja, Burgen gibt es! Aber einen Palast im Sinne von Versailles findet man nicht. Ja, da gibt es den Kaiserpalast, die Verbotene Stadt, in Peking. Aber erfüllt der unsere Vorstellungen von einem Schloss? Naja, ein bisschen: Große Hallen, repräsentative Gebäude, viel Gold und Glitzer, kostbare Kunstwerke überall. Aber so richtig, finde ich, ist das kein Palast, wie wir ihn von vielen Schlössern in Europa kennen.
Es gab ja auch noch andere reiche Leute im China der Kaiser. Wie haben die gewohnt? Es ist nicht wirklich so, dass man in jeder Stadt einen Mini-Kaiserpalast findet. Im Gegensatz zu Frankreich, wo man entlang der Loire zum Beispiel alle paar Kilometer ein traumhaftes Schloss findet, steht in China nicht überall ein Palast. Beziehungsweise die Anwesen der Reichen und Adligen verstecken sich, tarnen sich. Nach außen graue Mauern, nach innen ein ganzes Dorf mit allem Drumunddran, so sehen chinesische Paläste aus.
Wang Jia Da Yuan – ein Adelssitz in China
Ein prächtiges Beispiel ist der Wohnhof der Familie Wang. „Wohnhof“ klingt doch ganz bescheiden?! Aber mit Bescheidenheit hat der Wohnhof der Familie Wang unweit von Pingyao wenig zu tun.
Was heißt Wang Jia Da Yuan auf Chinesisch?
王家大 园 • Wang Jia Da Yuan • Wang + Familie + groß + Hof = Der Wohnhof der Familie Wang
Überblick der Anlage
Das 80.000 Quadratkilometer große Gelände schmiegt sich eng an den Hang eines Berges bei dem Dorf Jingsheng, eine Fahrstunde entfernt von Pingyao. Um 231 Höfe stehen graue Gebäude mit insgesamt 2078 Räumen. Das Schloss von Versailles hat „nur“ 1800 Zimmer.
Die Höfe folgen einer strengen Ordnung, die sich auf alte konfuzianische Traditionen gründen. Konfuzius legte die Regeln für die hierarchische Ordnung der Gesellschaft fest.
In jedem Hof wohnte ein Mitglied des Wang-Clans mit seiner Familie. Frauen und Töchter gehörten in den ersten Stock, den sie nur selten verlassen durften. Die Söhne lebten in den Räumen rechts und links vom Hof, so lange sie noch nicht verheiratet waren. Meistens bekamen sie, wenn sie eine Familie gründeten, einen eigenen Wohnhof zugewiesen.
Der Hausherr residierte in dem Raum, der dem Eingang gegenüber des jeweiligen Hofes liegt. Der Chef des Clans hatte einen besonders großen und mit schönsten Details ausgestatteten Hof, der nahe am Tor lag.
Es gab eine Schule, Tempel, Werkstätten und Läden. Natürlich auch Gärten. In den hintersten Räumen, ganz oben am Hügel wohnten die Diener und Angestellten. Je näher eine Familie beim Oberhaupt des Clans wohnte, desto wichtiger war sie.
Geschichte des Wohnhofs der Familie Wang
Die Familie zog mit dem Familienoberhaupt Wang Shi zu Beginn des 14. Jahrhunderts vom Fen He-Fluss, einem Nebenfluss des Gelben Flusses, nach Jingsheng. Sie waren Tofu-Hersteller und wurden damit reich. Das Geschäft florierte.
Schließlich fing Familie Wang im 17. Jahrhundert damit an, eine große Familienresidenz aufzubauen. Während der Qing-Dynastie (1644 – 1911) gehörten die Wangs zu den vier bedeutendsten Familien des Kaiserreiches.
Doch schon im 19. Jh. verlor die Familie Wang an Ansehen. Manche Familienmitglieder wurden Opium süchtig, manche waren bekannt dafür, dass sie korrupt waren.
Mit dem Ende der Qing-Dynastie kam auch der Niedergang. Nach und nach verließen sie die Gebäude. Schon im 2. Sino-Japanischen Krieg (1937 – 1945) wurden viele Wangs von den Japanern vertrieben.
Mit dem Beginn der kommunistischen Volksrepublik 1949 verließen die letzten Wangs das Land. Mit der Zeit zogen Bauern der Umgebung in die freien Zimmer. Das wurde zum Teil von den Kommunisten gefördert. Schließlich war es ja billiger Wohnraum. Die Kulturrevolution (1966 – 1976) überstand der Wohnkomplex fast unbeschädigt.
In den 1990er Jahren brach eine neue Zeit an. Die lokalen Politiker entdeckten, dass der Wohnhof der Familie Wang eine interessante Touristenattraktion sein könnte. Man siedelte kurzerhand die dort lebenden Familien um, restaurierte die Häuser und Wohnungen und meldete die Anlage für die Liste bedeutender chinesischer Kulturdenkmäler an.
Heute besteht die Anlage aus drei großen Wohnkomplexen und dem Ahnentempel. Alles kann man besichtigen. Während der Blütezeit waren es 5 Wohnanlagen auf 250.000 Quadratmetern. Die 4. Anlage ist nun ein schönes Hotel.
Mein Ausflug zum Wohnhof der Familie Wang
Pingyao im November. Der Morgen war gelb und trübe. War es Smog oder doch nur der gelbe Lössboden, der sich als feiner Staub in der Luft befand? Die Sonne konnte man hinter den gelben Schwaden nur erahnen. Ich machte mich trotzdem auf, um mir diesen Wohnhof anzusehen, den Wohnhof der Familie Wang, von dem ich schon so einiges gelesen hatte.
Warum ausgerechnet dieser und nicht einer der in diesem Gebiet rund um Pingyao vorhandenen Wohnhöfe? Vielleicht der der Familie Qiao, berühmt durch Zhang Yimous eindrucksvollen Film „Rote Laterne“, oder der von Familie Cang? Ich weiß es nicht mehr. Qiao war mir vielleicht zu bekannt, Cang zu unbekannt.
Es sollte einen Bus dorthin geben. Den fand ich nicht am Busbahnhof. Nach einigem Überlegen ließ ich mich auf das Angebot eines Taxi-Fahrers ein, mich für eine Pauschale dorthin und wieder zurück zu fahren. Der Preis war ok. Auf ging’s!
Zunächst war die Straße einigermaßen gut, teilweise sogar richtige Autobahn. Doch wegen des gelben Dunstes konnte ich nicht viel sehen. Die Erde war gelb vom Löss, kleine lehmfarbene Häuschen duckten sich an die Hügel. Manchmal erkannte ich auch Höhlenwohnungen mit ihren typischen runden Eingängen. Dann kam eine holprige Baustelle, die durchfahren werden musste.
In den zahllosen Höfen
Als ich endlich den Eingang zu Wang’s Wohnhof erreichte, hatte sich die Luft etwas geklärt. Die Sonne schien freundlich. Es war November, wenig Touristen. Durch das hohe Tor, das mit roten Lampions geschmückt war, trat ich ein in eine andere Welt, eine vergangene Zeit. Eine chinesische Märchenwelt. Ich streifte von Wohnhof zu Wohnhof, schaute in die Zimmer, in denen manchmal noch alte Möbel standen. Kletterte auch mal in den ersten Stock, um die Gemächer der Frauen anzuschauen.
Über eine Brücke ging ich zu dem größeren Bereich. Auch hier ein Wohnhof neben dem anderen, aber auch eine Schule, Tempelhallen, Gärten, Ausstellungen. Alles leider etwas vernachlässigt und mit dem Staub der gelben Erde bedeckt.
Ein Blick von der Mauer, die den Wohnhof schützt, machte mir erst klar, wie riesig die Anlage ist. Ein Meer von grauen geschwungenen Dächern, überall Dachfiguren, Wachtürme.
Dann der Blick hinaus: endlose gelbe Hügel, manche mit gleichmäßigen Reihen junger Bäume bepflanzt. Zu Füßen der Mauer konnte ich Höhlenwohnungen sehen, in denen Frauen Gemüse putzten, Kinder spielten und Autos parkten. Auch konnte ich hinüber schauen zu einer weiteren ummauerten Anlage, die auch mal zum Wohnhof der Familie Wang gehört hat.
Garten
In einem Cafe auf dem Gelände, es mag mal zu einem der Gärten gehört haben und den Herren Wang zur Entspannung gedient haben, kam ich mit der Wirtin ins Gespräch. Ja, der kleine Garten und das Cafe zusammen mit einer einfachen Wohnung gehörten ihr und ihrem Mann. Ihre Familie wohne schon seit ein paar Generationen in diesem Gebäude.
Dann sprach ich noch mit einer Chinesin, die gerade für das Fernsehen einen Film über Wang’s Wohnhof drehte. Es kann also sein, dass ich in einem solchen Film vorkomme. Wer weiß?!
Es war auf jeden Fall ein sehr lohnenswerter Ausflug!
Öffnungszeiten: 08:00 – 19:00 Uhr; im Winter schließt man schon um 17:00 Uhr
Am 18.08. jeden Jahres findet ein Tourismus-Festival statt mit vielen traditionellen Vorführungen, Paraden und Tänzen. Auch während des chinesischen Frühlingsfestes gibt es einiges an Veranstaltungen zu sehen.
Ich war übrigens 2011 noch einmal im Wohnhof der Familie Wang und habe auch in dem schönen Hotel dort übernachtet!
Weiterführende Links
- Jetzt gibt es auch ein schönes Hotel in dieser Anlage: Chongningbu Spring Hotel
- Zwischen Pingyao und dem Wohnhof: Das befestigte Dorf Zhangbi
- Pingyao, ein chinesischer Märchenort
- Noch eine Burg in Shanxi: Primeminister Mansion Huangcheng Xiangfu
- Helen Wallimann, A Visit to Gansu
- Noch mehr Infos: Travelchinaguide
Impressionen
- Kaffee in China – eine erstaunliche Entwicklung - 6. Oktober 2024
- Der Orient: Länder der Seidenstraße - 29. September 2024
- Shanghai Pass für ganz China! - 22. September 2024
Interessant! Mir ist jetzt nicht ganz klar, ob es sich um das Chengde Imperial Mountain Resort handelt. Das Chengde Imperial Mountain Resort Hotel ist ein schönes Hotel in Chengde (also nicht in oder bei Pingyao), das man u.a. über nookong .com oder feel China buchen kann.
Chengde Mountain Resort used to be summer resort for the royal family of the Qing Dynasty . Initially built in Kangxi Period, it covers about 5.8 square kilometers. It is the largest remaining ancient detached palace in China. It fully integrates arti f cial building and natural landscape. Garden landscape not only boasts open expanse in the north of the Great Wall, but also the delicate charm of the south region. Chengde Mountain Resort consists of two parts: Palace Area and Garden Area. Originally there were 180 groups of buildings, which were known as “72 Scenic Spots”. Palace Area sees plain and elegant architectural style. Garden Area is the backbone of Chengde Mountain Resort, consisting of lake area, plain lake and mountainous area. Scenery of lakes and mountains differ from each other. Pavilions show various shapes. Chengde Mountain Resort is indeed a masterpiece of royal garden.
Sehr interessanter Artikel mit eindrucksvollen Fotos. Da habe ich wieder etwas dazu gelernt 🙂
Was für eine gewaltige Anlage! Dagegen sehen unsere europäischen Paläste, auch „meine“ Residenz in München, in der Tat ziemlich klein aus. 😉
Würde ich total gerne mal sehen! 🙂
Der Begriff „Wohnhof“ ist wirklich etwas unglücklich gewählt. Ich erinnere mich noch gut an Kunden, die den Wohnhof der Familie Wang auf ihrem Rundreiseprogramm stehen hatten und mich fragen, was sie denn der Familie als Geschenk mitbringen dürfen.