Pingyao – ein chinesischer Märchenort

Zuletzt aktualisiert vor 3 Monaten

Wer einmal sehen will, wie man im kaiserlichen China gelebt hat, der sollte nach Pingyao reisen. Ja, der Ort ist touristisch! Aber der Besuch lohnt sich. Wie immer bei attraktiven Sehenswürdigkeiten braucht man nur ein paar Schritte in eine Seitengasse zu gehen und schon ist man in einer anderen, nichttouristischen Welt.

Pingyao, kaiserliche Bankenmetropole

Pingyao Marktturm
Pingyao

Als ich 2009 das erste Mal in Pingyao war, hatte ich als Reisezeit den November gewählt, absolute Nebensaison! Es waren nur wenige westliche Touristen dort. Ein paar Backpacker, einige chinesische Touristen. Auch bei meinem zweiten Besuch im Mai 2011 schienen sich die Touristenmassen in Grenzen zu halten.

Was mich so verzaubert hat? Innerhalb der vollständig erhaltenen Stadtmauer, die 6 Kilometer lang ist, hat sich eine Kleinstadt mit all ihren alten Häusern, Türmen, Parks und Tempeln erhalten, wie sie sich schon vor Hundert Jahren präsentierte. In der Hauptstraße, heute auch Qing-Ming-Straße genannt, reihen sich wie in alten Zeiten die Geschäfte aneinander, nur dass das Angebot heute hauptsächlich aus Souvenirs besteht. Hier liegen auch die alten Bankhäuser, zahlreiche Hostels in alten Wohnhöfen, und viele viele Geschäfte. Wenn die Menschen nicht moderne Kleidung tragen würden, könnte man glauben, die Zeit sei um 100 Jahre zurück gedreht worden.

In den Straßen von Pingyao

Pingyao – die Bankenmetropole

Bis ungefähr vor 150 Jahren kam Pingyao eine bedeutende Stelle im Reich der Mitte zu. Hier, an der Kreuzung alter Handelswege, lebten wohlhabende Banker, hier wurde Papiergeld gedruckt und in alle Ecken des Riesenreiches verschickt. Pingyao war sozusagen die Finanzhauptstadt des Kaiserreichs.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts verlagerte sich dann der Handel und auch die Hochfinanz an die Küsten, Beispiel Shanghai. Damit wanderten die Banker nach und nach ab, behielten aber ihre alten Häuser, und Pingyao fiel in eine Art Dornröschenschlaf.

Geschäftsstraße im alten China
Geschäftsstraße im alten China: Auch im kaiserlichen China waren die Geschäftstraßen lebhafte Orte des Handels

Entwicklungen der Neuzeit

Kaum einer kümmerte sich um die in Bedeutungslosigkeit versunkene Kleinstadt, nicht einmal die Kulturrevolution. Bis Ende der 1980er Jahre ein pfiffiger Bürgermeister das touristische Potential der alten Stadtmauer und der kaiserzeitlichen Häuser und Tempel entdeckte. 1988 kam die beeindruckende Stadtmauer auf die Liste der Denkmäler der VR China und seit 1997 ist die Stadt UNESCO-Weltkulturerbe.

Viele der alten Bankhäuser sind heute Museen und repräsentieren den Stil wohlhabenden Wohnens im 19. Jahrhundert. Es lohnt sich, diese Wohnhöfe zu erkunden. Sie sind nach einem einheitlichen Plan gebaut: Vorne die Empfangs- und Geschäftsräume, hinten  die große Halle des Hausherrn. Im ersten Stock und in den hinteren Höfen wohnten die Frauen des Hauses. Dahinter gab es weitere Räume und Höfe.

Jeder Besitzer hat trotz aller Einheitlichkeit der Strukturen seine eigenen Vorstellungen und Schwerpunkte umgesetzt. So kann man in einem Wohnhof wunderbar gedrehte Säulen beobachten, im nächsten hat der Gott des Reichtums seine Halle und in einem Büro gibt es das übliche Opium-Besteck zu sehen, mit dem der Hausherr seine Gäste bewirtete. In tiefen Kellergruben wurde das Geld, in Form von Silber- und Goldbarren, aufbewahrt.

Einblicke in das Bankwesen des 19. Jahrhunderts bieten die kleinen Museen entlang der Hauptstraße:

Kleine Museen in alten Häusern

Sehr interessant sind auch die Häuser, in denen sich Sicherheitsfirmen niedergelassen hatten. Denn natürlich brauchten die Geldtransporte in die großen Städte wie Xi’an oder Peking bewaffneten Begleitschutz. Neben den Büros gibt es in den Höfen die Trainingsanlagen für die Angestellten zu sehen. Alte Zeichnungen an den Wänden zeigen Kampfszenen sowie Gewichte und alte Speere, womit damals geübt wurde.

Mit ein paar Schritten entkommt man den Touristenmassen und entdeckt viele schöne und interessante Ecken. Im alten Konfuzius-Tempel wird manchmal eine Situation nachgespielt, wie sie sich in der Kaiserzeit zugetragen haben kann. Ein altes Schulzimmer mit abgewetzten Bänken und Tischen erinnert daran, dass Schulbildung ein wichtiges Thema im Konfuzianismus ist.

Der Konfuzius-Tempel

Im Südwesten liegen unterhalb der Stadtmauer die wohl ältesten Wohnhöfe. Sie erkennt man an den dicken Mauern und den schlichten Torbögen. Sie stammen noch aus der mongolischen Yuan-Dynastie (1279 – 1368). Wenn man Glück hat – so wie ich – betritt man vorsichtig den Hof und wird von einer freundlichen jungen Frau empfangen, die einen gerne gegen ein kleines Entgelt durch die Zimmer des Hauses führt. So bekam ich einen ganz besonderen Einblick, wie die Menschen auch heute noch in diesen alten Häusern leben.

In den Nebenstraßen lassen sich viele Details entdecken:

Beim Stromern durch die Gassen Pingyaos findet man kleine lebhafte Märkte, altes Handwerk und Menschen, die sich zu einem Schwätzchen und einem Kartenspiel zusammen hocken. Es gibt einige Tempel, in die sich kaum ein Tourist verirrt, ruhige Plätze der Besinnung. Auch christliche Kirchen verschiedener Glaubensrichtungen findet man in Pingyao.

Ein Spaziergang auf der Stadtmauer bietet besondere Einblicke in die Gassen und Hinterhöfe. Ich habe es genossen, 5 Tage dort gewesen zu sein. Auch noch einmal nach Pingyao auf einer organisierten Rundreise zurückzukehren, war toll. Es gibt wirklich reichlich was zu besichtigen. Außerdem ist Pingyao ein idealer Ausgangspunkt für Ausflüge zu diversen Tempeln und Dörfern in der Umgebung.  In den ausgedehnten Wohnsitzen früherer adliger und wohlhabender Familien in der Nähe kann man viel vom Leben vor Hundert Jahren entdecken. Zum Beispiel der Wohnsitz der Familie Wang. Ein wahrer Palast!

Die vollständig erhaltene Stadtmauer

Shanxi und Peking 2015

Der erste Ort, den wir auf unserer Tour durch die chinesische Provinz Shanxi besuchten, war Pingyao. Ja, da war ich schon zweimal gewesen: 2009 und 2011. Doch auch diesmal fand ich die Stadt toll. Gut, es war Sommer und Wochenende. Die Stadt war voller Touristen, vor allem Chinesen. Doch empfand ich nicht, dass es ein großes Gedränge gab.

In China kann man nicht inmitten einer solch wunderschönen Stadt auf Einsamkeit, Ruhe und Beschaulichkeit hoffen. Außerdem war die Zeit zu kurz, um die ruhigeren Nebengassen zu erkunden. Mir gefiel es, dass ich diesmal im Sommer hier war: Die Sonne schien von einem blauen Himmel, wie ich es vorher noch nicht erlebt hatte. Die Bäume waren üppig grün.

Leider hatten wir nur wenig Zeit. Trotzdem haben wir uns intensiv ein Stadttor mit seiner ganzen Wehrhaftigkeit und die Rishengchang-Bank angeguckt. Das war sehr angenehm und interessant – eine kompetente Reiseleiterin hat schon Vorteile.

Es war auch keine Zeit für eigene Erkundungen. Aber die Blicke, die ich in die Nebenstraßen werfen konnte, überzeugten mich, dass sich das Menschengedränge auf die Haupttouristenstraßen beschränkte. Mein Tipp: Entweder Ihr reist, so wie ich, im Winter nach Pingyao, oder Ihr konzentriert Euch auf die stillen Seitenstraßen. Da gibt es auch viel zu entdecken!

Eindrücke von meinem Besuch am 29.08.2015:

Info

(Stand 01-2021)

Pingyao 平遙 liegt in der Provinz Shanxi, südlich der Stadt Taiyuan und knapp 600 km von Peking entfernt. Die Kleinstadt hat ca. 42.000 Einwohner. Es gibt drei Hochgeschwindigkeitszüge von Peking nach Pingyao, die rund 4 Stunden brauchen. Man kann auch einen Nachtzug nehmen. Der fährt allerdings mehr als 12 Stunden.

Eintritt: Es gibt eine Eintrittskarte, die 20 der wichtigsten Sehenswürdigkeiten umfasst. Für 130 Yuan RMB kann man 3 Tage lang die Stadt erkunden. In der Stadt selbst kommt man ohne Ticket aus. Aber bei vielen der kleinen Museen und alten Wohnhöfen benötigt man eine Eintrittskarte, kann diese dort jedoch nicht kaufen. Man erhält die Karte beim Tourist-Office und an anderen Stellen.

Der Besuch von Pingyao lässt sich gut in eine Rundreise einplanen: Peking – Datong – Taiyuan – Pingyao – Xi’an – Peking

Unterkunft: Es gibt in Pingyao zahlreiche wunderschöne Hostels, die sich in alten Wohngebäuden befinden. Es gibt auch gute Hotels, die aber nicht ganz so idyllisch sind und am Rande der Stadt liegen.

Links

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Hof der Rishengchengbank in Pingyao
Erster Hof der Rishengchangbank
Ulrike
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17 Gedanken zu „Pingyao – ein chinesischer Märchenort“

  1. Pingyao is like dream. But there are times, when it is full of tourists. Just now ist Golden Week and holidays in China. One should not go there now. Best regards Ulrike

  2. Manchmal hat die Nebensaison ihre Vorteile. Wenn Städte weniger überlaufen sind lassen sich einfach mehr Details entspannt erforschen. Schöne Bilder, die Lust machen wieder mal nach China zu reisen. 🙂

  3. Ja, richtig! Zu den Tempeln und auch zu den schönen alten Wohnhöfen (Wang Jia Dalou) usw. werde ich später noch schreiben. 😉

  4. Interessanter Bericht, es gibt auch noch wunderbare Tempel etwas außerhalb von Pingyao! Ein Besuch lohnt sich immer auch wenn es oft von Touristen überschwemmt ist

  5. Pingyao steht auch noch ganz oben auf meiner Reisewunschliste. Bei den tollen Fotos hier würde ich am liebsten gleich die Koffer packen

  6. Sieht toll aus! Dafür, dass es so touristisch sein soll, ist aber wenig los. Vielleicht sollte ich auch mal im Winter dorthin fahren.

    Zu Pingyao kann ich übrigens den chinesischen Film „Empire of Silver“ empfehlen. Der erzählt die Geschichte der von dir erwähnten Banker.

    LG
    Shaoshi

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