Die altehrwürdige Lehre des Konfuzius und der Respekt

Seit rund 2.500 Jahren prägt Konfuzius mit seinen Lehren die Kultur und die Gesellschaft Chinas. Einer der Pfeiler seiner Lehre ist der Respekt.

Je älter ich werde, desto größer wird mein Eindruck, dass es überall an Respekt mangelt, an Respekt Eltern, Lehrern oder den staatlichen Autoritäten gegenüber. Auch die andere Meinung wird nicht mehr ausreichend respektiert, Socialmedia machen es leicht, mit Beleidigungen und Hasskommentaren umsichzuwerfen.

von alten und neuen Zeiten - Konfuzius Statue beim Nationalmuseum in Peking.
Konfuzius am Nationalmuseum in Peking

Die westliche Sicht

Respekt ist eine grundlegende Umgangsform zwischen Menschen. Die Achtung des Menschen in seiner Würde und Persönlichkeit schafft die Basis. Ein respektvolles Miteinander verlangt nach Aufmerksamkeit und ermöglicht dann erst Verständnis. Mangelnder Respekt voreinander führt zu Missverständnissen, persönlicher Betroffenheit, „hinter dem Rücken“-Kommunikation und beeinträchtigt die Atmosphäre negativ.

Ich bin nun über einen sehr interessanten konfuzianischen Aspekt gestoßen: Den kindlichen Respekt den Eltern gegenüber. Der ist nach meinem Eindruck sehr Chinesisch in seiner Ausprägung. Darüber möchte ich im Folgenden schreiben.

Die Lehre des Konfuzius

Die Lehre des Konfuzius
Zentraler Gegenstand der Lehre des Konfuzius ist die (Gesellschafts-)Ordnung, also das Verhältnis zwischen Kind und Eltern, Vorgesetzten und Untergebenen, die Ahnenverehrung, Riten und Sitten. Konfuzius lehrte, dass erst durch die Ordnung sich überhaupt Freiheit für den Menschen eröffnet.

So wie die Regeln eines Spiels Bedingung dafür sind, dass die Freiheit des Spielens entsteht, bringt die wohlgeordnete Gesellschaft erst die Strukturen für ein freies Leben des Menschen hervor. Wie jeder Spieler aus Freiheit die Regeln akzeptiert, so akzeptiert auch der Edle Sittlichkeit und Pflichten.

Ordnung unterdrückt also nicht die Freiheit, sondern eröffnet erst einen Handlungsraum, in dem menschliche Tätigkeiten einen Sinn bekommen. Ungeregelte, chaotische Zustände hingegen erzeugen ein Klima der Unfreiheit, des Zwangs und der Bedrängnis. Wikipedia

Großvater und Enkel

Aus diesem Grundsatz der Ordnung entwickelte sich ein ausgeklügeltes System der menschlichen Beziehungen: Der jüngste Sohn unterstand dem älteren. Die Tochter der Mutter, die Mutter ihrem Ehemann usw.. So wusste jeder, wo sein Platz war und was er zu tun hatte. Dieses System lässt sich noch heute an den Bezeichnungen für verwandtschaftliche Beziehungen erkennen: Der Bruder ist nicht einfach der Bruder, sondern er ist der ältere oder jüngere Bruder.

In seiner Lehre legte Konfuzius besonderen Wert auf Bildung und natürlich den Respekt den Lehrern gegenüber. Das wurde in China gelebt und hatte seinen Einfluss auf alle Aspekte des Lebens in China.

Eine Ausnahmezeit

Als Mao Zedong 1949 die Volksrepublik China gründete, war das konfuzianische Ordnungs- und Bildungssystem willkommen. Lehrer galten in den ersten Jahren der Volksrepublik trotz aller Hymnen auf das Proletariat immer noch als angesehene „Arbeiter des Geistes“. Das war zunächst ganz praktisch. Aber im Grunde empfand Mao Konfuzius als verabscheuungswürdigen Reaktionär.

Überhaupt wurde jede Philosophie und jede Religion als Teil der zu bekämpfenden Vier Alten gesehen: Alte Denkweisen, alte Kulturen, alte Gewohnheiten und alte Sitten. Der Versuch, diese auszurotten, gipfelte in den Gräueltaten der Kulturrevolution (1966 – 1976). Während dieser Zeit wurden Schulen und Universitäten kurzzeitig geschlossen, Lehrer und Intellektuelle aufs Land und in die Fabriken geschickt, um dort zu lernen, was harte Arbeit ist.

Aber Mao Zedong merkte mit der Zeit, dass das nicht funktionierte, Schulen und Universitäten öffneten wieder. Auch Tempel wurden renoviert und die alten Götter kehrten zurück an ihren gewohnten Platz.

Mit der Öffnung Chinas Anfang der 1980er Jahre gewann auch die Lehre des Konfuzius zunehmend an Bedeutung und Einfluss auf das Leben der Chinesen. Das ist im Grunde kein Wunder. Denn was könnte besser für eine Regierung sein, als dass eine Religion bzw. Philosophie die Untertanen strikt zum Gehorsam und Respekt auffordert?

Im Konfuzius Tempel von Peking, Schüler lauschen aufmerksam dem Vortrag eines Lehrers.
Im Konfuzius Tempel von Peking

Der Respekt des Kindes vor den Eltern

Das einflussreichste Werk der ostasiatischen Geistesgeschichte ist das Lúnyǔ. Es enthält die vier konfuzianischen Grundtugenden:

Mitmenschlichkeit (仁, rén),
Gerechtigkeit (義 / 义, yì),
Kindliche Pietät (孝, xiào)
Einhalten der Riten (禮 / 礼, lǐ – „sinngemäß Höflichkeit, Etikette“).

Von allen Tugenden ist kindliche Pietät ( 孝 Xiao) die wichtigste, heißt es. „Kindliche Pietät“ oder „Kindesliebe“ meint folgsames und respektvolles Betragen gegenüber den Eltern. Kinder, die diese Tugend an den Tag legen, werden 孝子   Xiaozi genannt. Kindesliebe wird als Grundlage zahlreicher ethischer Verhaltensmaßregeln und der grundsätzlichen moralischen Ausrichtung der traditionellen chinesischen Kultur gesehen.

Das „Komitee für kindliche Pietät“ der Chinesischen Gesellschaft für Ethik, eine Vereinigung, die auf Initiative einiger Professoren der Hunan Normal University gegründet worden ist, kündigte am 30. Oktober 2011 an, einer Million chinesischer Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren dabei zu helfen, innerhalb von fünf Jahren Kindesliebe zu erwerben.

Die Initiative hat eine hitzige Debatte ausgelöst. Befürworter sagen, dass die goldene Zeit für die Grundlegung kindlicher Pietät zwischen dem vierten und sechsten Lebensjahr ist. Demnach sehen sie in der Absicht des Komitees für ein derartiges Programm eine innovative und notwendige Maßnahme. Kritiker hingegen meinen, dass ein Programm dieser Art nicht die erhofften Resultate zeitigen wird, da wohlerzogene Kinder nicht durch ein Kurzzeitprogramm „produziert“ werden können.

Interessantes Schriftzeichen

孝  xiào  耂 + 子

Das Schriftzeichen kann man ganz bildhaft sehen: Der obere Teil ist das Schriftzeichen für „alt“, der untere bedeutet „Kind„. Die Bedeutung kann man auslegen, als „das Kind trägt das Alte“ oder „Das Kind ist dem Alten untergeordnet“.

Faszinierend, nicht wahr!

Das Sozialkredit-System

Kindliche Pietät (孝, xiào) wurde auch in den Punktekatalog übernommen, der das soziale Miteinander in China regeln soll. In dem Sozialkredit-System soll u.a. berücksichtigt werden, ob ein Sohn, eine Tochter die Eltern regelmäßig besucht.

Doch was soll ein Sozialkredit-System bewirken, wenn der, der genug Geld hat, die Abstrafungen gut wegstecken kann? Ich sehe das ganz gelassen. Als Tourist ist man auch kaum betroffen. Die Chinesen, mit denen ich darüber gesprochen habe, scheinen das gar nicht wirklich ernst zu nehmen. Minuspunkte, weil man seine Eltern nicht besucht hat? Wie will man das denn nachweisen? Hier gibt es einen guten sachlichen Bericht über das Punktesystem.

Pingyao Tempel Schulbänke
Schule im Konfuzius-Tempel von Pingyao

Christen: Das vierte Gebot

Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf daß dir’s wohlgehe und du lange lebest auf Erden.
Was ist das?
Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unsere Eltern und Herren nicht verachten noch erzürnen, sondern sie in Ehren halten, ihnen dienen, gehorchen, sie lieb und wert haben.

Fassung der Evangelischen Kirche.

Das ist doch fast das Gleiche wie die entsprechende Regel im Konfuzianismus, oder?

Irgendwie habe ich den Eindruck, dass dieses vierte Gebot in der westlichen Welt sich nicht groß im Bewusstsein der Menschen eingeprägt hat. Hat es vielleicht mit der industriellen Entwicklung der letzten zweihundert Jahre zu tun? Einer Zeit, die auf vielen Gebieten alte soziale Strukturen aufbrechen ließ.

Respekt heute

Auch in China gibt es immer mehr Menschen, die lieber als Single leben als bei den Eltern. Selbst zum wichtigsten Familienfest, dem chinesischen Frühlingsfest, fahren viele in Urlaub und verzichten auf die Feiern mit den Eltern und Großeltern.

Respekt vor den Eltern lässt sich nicht so einfach erzwingen, Respekt vor staatlichen Autoritäten schon. Aber warum sollte man sich auflehnen? Es geht den meisten gut. Die chinesische Regierung schmückt sich neuerdings gerne mit den Erfolgen bei der Armutsbekämpfung. Ob die dabei angewendeten Methoden immer mit den Wünschen der Betroffenen übereinstimmen, wage ich zu bezweifeln.

Doch noch funktioniert dieses System von Zuckerbrot und Peitsche. Meistens jedenfalls. Das ist auch den konfuzianischen Regeln zu verdanken, die immer noch oder wieder zunehmend die Gesellschaft prägen.

Meiner Meinung nach ist der Respekt den Eltern gegenüber die Basis, auf der sich der respektvolle Umgang des Einzelnen mit seinen Mitmenschen aufbaut. Was meint Ihr?

Konfuzianische Zeremonie Respekt
Bei einer nachempfundenen konfuzianischen Zeremonie verbeugen sich die Männer voller Respekt.

Ulrike
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3 Gedanken zu „Die altehrwürdige Lehre des Konfuzius und der Respekt“

  1. Das sehe ich differenzierter. “ nur virtuelle finanzgesteuerte Konsumenten auch aus dem Elternhaus“ – das gibt es in meinem Elternhaus und auch bei meinen Freunden nicht!

  2. Respekt hat auch viel mit Akzeptanz und Vorbild zu tun! Vielleicht kommt es daher, dass der Respekt gegenüber dem Anderen nicht mehr gegeben ist weil es ja kaum noch wirkliche Vorbilder gibt sondern nur virtuelle finanzgesteuerte Konsumenten auch aus dem Elternhaus da sind!

Ich freue mich auf Deinen Kommentar!