Müll ist ein Phänomen, das es schon mindestens seit der Neusteinzeit gibt. Spätestens seit der Mensch erste Werkzeuge aus Stein herstellte, fiel Abfall an, die sog. Abschläge. Gleichzeitig wurde aber auch das Recycling erfunden. Ein Abschlag wurde genutzt, vielleicht nicht als großer Faustkeil oder elegante Pfeilspitze, aber als Schaber. Er wurde so lange geschärft und kleinste Ecken abgeschlagen, bis es nicht mehr ging.
Auf meinen Reisen habe ich viele Orte besucht und gesehen, die dem Müll gewidmet waren. Manchmal habe ich sie mir angesehen, weil sie heute als Sehenswürdigkeit gelten, manchmal habe ich sie nur nebenher bemerkt, vielleicht durch Gestank oder die ungewöhnliche Anhäufung. Denn sie sind nicht so leicht als Müllhaufen zu erkennen oder als Abfall gekennzeichnet.
Was ist Müll und woher kommt das Wort?
Schon im 8. und 9. Jahrhundert kamen Verben auf wie mullen (Althochdeutsch) und müllen, müln (Mittelhochdeutsch) in der Bedeutung etwas zu zerstoßen, zu zerreiben, zu zermahlen.
Da ist der Bezug zum Müller offensichtlich.
„Müll war ursprünglich das, was durch ahd. „mullen“, mhd. „müllen“ = „zerstoßen“, „zerreiben“ (zum Beispiel in einer Mühle) entstanden war. Aus dem brauchbaren Mehl wurde der unbrauchbare Siebrest vom Müller entfernt. Für diese Abfallmischung aus Spelzen, Unkrautsamen, Holzstückchen, Bodenkrumen und so weiter hat sich die Bezeichnung Müll eingebürgert, diese wird heute für alle Abfallgemische und für sonstiges Unbrauchbares verwendet.“ (Wikipedia)
Müll als Sehenswürdigkeit
Es gibt reichlich Sehenswürdigkeiten, die auf die eine oder andere Weise mit Müll und Abfall zu tun hat. Einige will ich hier mal aufzeigen.
Abschläge
Schon die ersten Menschen, wie der Homo Erectus, stellten große Steinwerkzeuge her. Bei der Produktion fiel haufenweise Abfall an.
Dieser landet manchmal im Museum, ohne dass wir dieses als Müll erkennen. Das kann man in jedem Archäologischen Museum sehen.
Auf dem Foto könnt Ihr gut sehen, dass neben den Faustkeilen auch jede Menge Tierknochen auf manchen Ausgrabungen gefunden werden. Diese Knochen werden natürlich auch weitestgehend bearbeitet. Zum Beispiel wurde kleine Figuren daraus hergestellt, aber auch Musikinstrumente oder Alltagsgegenstände. Auch hier bleiben Reste übrig, die man nicht gebrauchen konnte.
Kökkenmöddinger
Erst nach und nach gewöhnten sich die Menschen an, ihren Abfall außerhalb der Dörfer auf einen Haufen oder in eine gemeinsame Grube zu legen. Ich vermute, dass diese Entwicklung mit der Sesshaftwerdung und den ersten dauerhaft bewohnten Dörfern zusammenfiel.
Restehaufen vom Essen kennen wir aber schon seit mehr als 160.000 Jahren. Viele Knochengruben sind auf gemeinschaftliche Festessen zu besonderen Anlässen zurückzuführen. Auch sind Ansammlungen von Muscheln und andere Abfällen aus der ganzen Welt bekannt.
Allerdings gibt es erst seit rund 8.000 Jahren eine Kultur, in der die Abfallhaufen Ausmaße angenommen haben, die unübersehbar wurden. Meterhoch erhoben sich in Nordeuropa Berge von überwiegend Muschelschalen und Austern. Manchmal wurden auch andere Essensreste, Feuerstellen und Steinabschläge in den Hügeln gefunden. In einigen Fällen wurden sogar Menschen in ihnen begraben.
Der Name „Kökkenmöddinger“ kommt aus dem Dänischen und bedeutet einfach „Küchenabfallhaufen“. Daraus wird klar, dass man diese riesigen Muschelhaufen schon früh als Essensreste identifizierte.
Mir sind diese Haufen aufgefallen, als ich ungefähr 17 Jahre alt war und mit meinen Eltern im Ferienhaus in Schweden wohnte. In der Nähe des Ferienhauses war eine meterhohe Wand aus Muschelschalen. Als ich erfuhr, wie alt er war und dass er menschengemacht war, war ich wie elektrisiert. Staunend stand ich vor den Unmengen an Muschelschalen und hatte das Gefühl, die Jahrtausende förmlich vor mir vor mir zu sehen.
Rom, die Antike und der Müll
Mit den immer größer werdenden Städten der Antike wurde der Abfall zum Problem. Die Menschen konnten nicht mehr alles recyceln. So ergaben sich spezielle Müllhalden.
Aber das meiste wurde recycelt: Die Kreislaufwirtschaft war eine der ersten Wirtschaftsformen des Menschen. Über lange Zeiträume hinweg bestand der Großteil dessen, was er baute oder herstellte, aus leicht abbaubaren Materialien. Die wenigen Paläste, Werkzeuge, Waffen, Münzen oder Gefäße waren eher die Ausnahme, als die Regel. Fell wurde mit Harnstoff zu Leder gegerbt. Gefärbt wurde es mit Pflanzensäften. Nicht abbaubare Müllreste konnten sich nicht in großen Mengen ansammeln – die Gefahr, riesige Müllberge anzuhäufen, bestand damals also kaum.
Monte Testaccio, Roms Müllhalde
Ton-Amphoren waren das billige, überall vorhandene Einweggeschirr. in Rom gibt es einen riesigen Berg aus weggeschmissenen Amphoren, den Monte Testaccio. Diese Gefäße dienten vor allem dem Transport von Wein, Olivenöl und vor allem dem Garum, der in Rom so beliebten Fischsoße.
Dieser Monte Testaccio ist wirklich bemerkenswert. Der 50m hohe Hügel besteht aus Millionen Scherben von Amphoren. Die meisten mit einem Fassungsvermögen von 70 Liter. Speichergebäude, in denen die flüssigen Waren aufbewahrt wurden, hat man in der Nähe gefunden.
Der Name des Hügels kommt übrigens von Lateinisch „testae“ Scherben. Ausführlich könnt Ihr darüber bei Wikipedia nachlesen.
Cloaca Maxima
In Rom gibt es eine seltsame Sehenswürdigkeit, die Cloaca Maxima. Dieser große Abwasserkanal entsorgte Rom spätestens seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. von Müll und Dreck. Überdacht wurde er ungefähr im 2. Jahrhundert. Und wird teilweise noch heute genutzt.
Schon lange vorher hatte der Mensch das Bedürfnis, ohne Dreck zu leben. Was nicht mehr wiederverwendbar war, wurde entsorgt. Dabei hatte man schnell raus, dass Wasser das Zeug schnell wegschwemmte und dass somit der Anblick, der Geruch nicht mehr störte.
Die Cloaca Maxima zieht sich mitten durch die alten Foren. Es gibt einen Zugang: Adresse: Via del Velabro 3, Rom. Leider ist der Zugang zur Zeit (2023) nicht möglich. Der Kanal mündet in den Tiber.
Tempel der Venus Cloacina
Ja, es gab sogar einen eigenen Tempel und eine Göttin! Heute ist davon nicht mehr viel zu sehen außer einem unscheinbaren Steinkreis bei der Basilica Aemilia auf dem Forum Romanum. Die kleine Anlage war zunächst der ursprünglich wohl etruskischen Göttin Cloacina als Schutzgöttin der Cloaca Maxima geweiht.
Später wurde diese Göttin mit Venus gleichgesetzt und Venus Cloacina genannt, Cloacina wurde als Göttin der Reinheit oder Sauberkeit verehrt. Ihr Name könnte daher auch von dem lateinischen Verb cloare, reinigen, abgeleitet sein.
Mittelalter
Heute hat man die Kloaken als wichtiges Zeugnis vor allem des Mittelalters entdeckt. Damals hat man Toiletten gebaut, in denen man vieles verloren hat. So gräbt man diese aus und kann viele Entdeckungen aus dem Alltagsleben machen.
Achtet mal darauf, wenn Ihr im Museum auf Dinge stoßt wie einzelne Schuhe oder Kinderspielzeug. Die sind meistens aus einer Abfallgrube geborgen worden. Ich war einmal bei der Ausgrabung der Cremont-Insel in Hamburg. Da wurde aus den alten Abwassergräben und Müllgruben unendlich viel Scherben und anderes geborgen. Davon landete sicher auch einiges im Hamburger Archäologiemuseum.
Und China?
Tja, da habe ich wenig gefunden. Natürlich gibt es auch in China Steinwerkzeuge und Abschläge. Aber wohl angesichts der vielen und bedeutenden Funde in Gräbern und Tempeln treten die Funde aus dem Abfall etwas in den Hintergrund.
Sind die Gruben, in denen man manchmal Orakelknochen gehäuft findet, Abfall oder bewusst der Erde anvertraute Opfer?
In Banpo bei Xi’an, einem prähistorischen Dorf, wurden Dinge gefunden, die man durchaus als Abfall bezeichnen kann.
Die Chinesen waren schon früh Meister im Recycling. Da blieb nicht viel Müll übrig. Erst in den letzten Jahrzehnten wurde der Abfall zum Thema. Googelt mal Müll in China!
Zum Schluss ein Beispiel aus der Neuzeit
In Hamburg gibt es ein Denkmal um einen Mann, der sich vor fast 200 Jahren um die Abwasserentsorgung verdient gemacht hat: William Lindley. 1842 war er der Initiator der neuen Kanalisation.
Ihm wurde ein Denkmal gesetzt, das durchaus sehenswert ist. Es befindet sich an einem kleinen Häuschen, das den Einstieg in die Kanalisation markiert. Sogar Kaiser Wilhelm sollte siech die Kanalisation hier ansehen. Dazu kam es leider nicht.
Entdeckt: Müll Archäologie – ein Blog
Eva Becker, die selbst Archäologin ist, schreibt selten aber interessant über Müll und was sie dort so findet.Lesenswert!
Links
Und Ihr? Habt Ihr noch Vorschläge für den Besuch von Müllhalden oder Abfall?
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