Gleich vorab: Echte Löwen gibt es nicht in China und hat es wohl auch nie gegeben. Trotzdem findet man chinesische Löwen überall als Wächterfiguren. Wie kommt das?
Löwen in China
Der Löwe bedeutet in China Glück, Schutz und Frieden. Seit rund 2.000 Jahren sind Löwen als Wächterfiguren beliebt. Woher kommt das? Es gibt zwei mögliche Erklärungen.
Kaiser Zhangdi und der geschenkte Löwe
Überlieferungen zufolge hat das Land „Da Rou Zhi“ (genaueres unbekannt) aus den westlichen Regionen dem Kaiser Zhangdi der Östlichen Han-Dynastie (25-220) einen goldhaarigen Löwen als Tribut dargebracht. Seitdem hat dieses Tier in China Wurzeln geschlagen und erfreut sich großer Beliebtheit. Er wird von den Chinesen als glückbringendes Tier betrachtet. So heißt es in einem Artikel von China Radio International.
Für die offizielle chinesische Meinung ist das einfacher zu verstehen als die zweite, wahrscheinlichere Theorie.
Der Buddhismus brachte die Löwen nach China
Löwen stehen für die Kraft und Furchtlosigkeit eines Buddhas, insbesondere die Schneelöwen, die als sehr kostbar und selten gelten.
Im Lotus Sutra gilt der Löwe sowohl als Symbol des Furchtzustandes, des Stolzes als auch als Symbol der Macht.
Das Lotus-Sutra entstand vor rund 2.000 Jahren in Nordindien und kam über die alten Handelswege der Seidenstraße nach China. Dort bildet es eine der wichtigsten Grundlagen des chinesischen und auch des tibetischen Buddhismus.
Damit trat die Darstellung von Löwen in die chinesische Vorstellungswelt ein. Einige der bekannten Bodhisattvas (Erleuchtungswesen im Buddhismus) reiten auf einem Löwen.
Avalokiteshvara Simhanada reitet auf einem weißen Löwen, ähnlich wie Vairocana. Das Reittier des Manjushri (Wenshu), des Bodhisattva der Weisheit, ist ein blauer Löwe.
Woher wusste man, wie ein Löwe aussieht?
Es ist bekannt, dass vor allem die Kaiser des 1. Jahrtausend private Tiergärten anlegten, in denen auch Löwen aus Persien und Indien gehalten wurden.
Doch so richtig wusste man nicht, wie ein Löwe in Wirklichkeit aussieht. Dadurch entstanden einige seltsame Darstellungen, die mal mehr mal weniger wie eine große Katze aussahen. Das kann man gut bei dem oben abgebildeten Manjushri sehen.
Die Wächterlöwen
Mit der Zeit entwickelte sich eine mehr oder weniger gleichartige Ikonografie. Die chinesischen Löwenskulpturen, die Paläste und Tempelhallen bewachen, sehen immer gleich aus:
Sie sind meistens aus Stein, Eisen oder Bronze. Löwen sollen die Macht und Kraft haben, schlechte Einflüsse jeglicher Art fernzuhalten.
Der Löwe auf der rechten Seite
Der rechte (aus Sicht des Betrachters) Löwe ist männlich und hält unter seiner rechten Pranke einen Ball. Der Löwe steht für Kraft und Macht. Der Ball (Xiuqiu), ursprünglich eine Perle, des männlichen Löwen symbolisiert die Einheit und Kraft des Reiches.
Die Löwin auf der linken Seite
Der Löwe auf der linken Seite ist weiblich und hält unter der linken Pranke ein Löwenjunges. Sie steht für das Gedeihen der Nachkommen, für Wachstum und Wohlbefinden.
Was heißt „Löwe“ auf Chinesisch?
獅 • shī = Löwe
石狮 • shíshī • Stein + Löwe = Steinlöwe bzw. Wächterlöwe
Das Wort shī für Löwe entstammt dem Persischen shiar (شیر), das den Löwen bezeichnet. So kann man Rückschlüsse auf die Herkunft der Löwen machen, die mit den Handelsbeziehungen entlang der Seidenstraße zusammenhängt.
Der indische Löwe
Der Asiatische Löwe (Panthera leo persica), auch Persischer Löwe oder Indischer Löwe, ist eine Unterart des afrikanischen Löwen und war früher auch in Südosteuropa, dem Mittleren und Nahen Osten verbreitet und stand 1913 kurz vor der Ausrottung.
Heute kommt er, außer in Zoologischen Gärten, nur noch in Indien im Gir-Nationalpark auf der Halbinsel Kathiawar vor, weshalb auch zeitweilig die Bezeichnung Gir-Löwe verwendet wurde. Dort gibt es einen kleinen Restbestand an wilden Löwen, der ca. 300 bis 500 Exemplare umfasst. Ich selbst habe den asiatischen Löwen im Zoo von London gesehen.
Diese Löwen unterscheiden sich von den afrikanischen vor allem dadurch, dass die männlichen Tiere eine kürzere Mähne haben.
Die besonderen Löwen in China
Was fällt Euch auf, wenn Ihr Euch die beiden Löwen genauer anschaut? Es ist das übliche Paar: Ein weiblicher und ein männlicher Löwe. Aber: Beide haben eine prachtvolle Mähne! Dabei wissen wir, dass in der Natur nur der männliche Löwe eine Mähne trägt.
Fun-Fact: Die Anzahl der Locken, aus denen die Mähne des Löwen besteht, zeigt den Rang des zu bewachenden Hausbesitzers an. Die Löwen der Beamten höchsten Ranges hatten 13 Locken und mit jedem Grad, den der Rang des Beamten sank, sank auch die Anzahl der Locken. Beamten unter dem siebten Grad durften gar keine Löwen vor ihren Häusern aufstellen.
Vor dem alten Wohnhof eines einstigen Ministers in Peking habe ich übrigens diese beiden seltsamen Gestalten gesehen:
Die chinesischen Löwen als Wächter der Seele
Steinlöwen sind ein fester Bestandteil der Wächterfiguren, die den Seelenweg zu den Gräbern der Kaiser und hohen Beamten säumen. Dabei ist mir die Ähnlichkeit mit anderen Fabelwesen wie z.B. dem Xiezhi aufgefallen. Der Unterschied wird erst bei Betrachtung der Pfoten deutlich.
Funfact: In der Provinz Fujian gibt es eine kleine Stadt, die Shíshī shì 石狮市 (Steinlöwenstadt) heißt. Sie spielt alledings touristisch keine große Rolle.
Löwentanz
Löwen in China haben nicht nur die Aufgabe des Wächters, sondern gelten auch als Glücksbringer. Am chinesischen Frühlingsfest werden gerne prachtvolle Löwentänze aufgeführt.
Die berühmte Marco-Polo-Brücke
Die Marco-Polo-Brücke oder Lugou Qiao (卢沟桥, Pinyin lúgōuqiáo – „Schilfrohrgossenbrücke“) ist eine steinerne Bogenbrücke im Pekinger Stadtbezirk Fengtai, die den Fluss Yongding He überspannt. Sie wurde im Jahre 1192 vollendet. Berühmt wurde sie durch Erwähnungen in den Reiseberichten des Marco Polo.
Die Marco-Polo-Brücke ist insgesamt 235 m lang und verfügt über elf Brückenbögen, wobei jedes einzelne Bogensegment 21,60 m überspannt. Die Fahrbahn der Brücke ist 9,30 m breit und besteht aus großen Steinquadern.
Die 250 Geländerteile tragen steinerne Wächterlöwen. Die genaue Anzahl der Löwen ist schwer zu bestimmen, denn neben und auf den großen Löwen sitzen zahlreiche kleinere Löwenfiguren von oft nur wenigen Zentimetern Größe. (Wikipedia)
Die Tradition, Brückengeländer mit Löwenfiguren zu schmücken, wird heute fortgeführt. Hier eine moderne Brücke über den Stadtgraben in Xi’an.
Löwen sind in China allgegenwärtig
Deshalb hier noch ein paar Impressionen.
Das Primeminister Mansion in der Provinz Shanxi ist voller verspielter Löwen aus Stein.
Hier mal ein daoistischer Löwe am Qingchengshan. Kann aber auch das Fabeltier Qilin sein.
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Das kann gut sein. Denn sowohl in Europa als auch in China hatte man keine Ahnung, wie ein Löwe wirklich aussieht.
LG
Ulrike
Danke für diesen sehr interessanten Post, liebe Ulrike.
Ich habe mal gelesen, dass man die chinesischen Porzellan- und Steinlöwen in Europa lange Zeit für die Darstellungen von Hunden gehalten hat. 😉
Liebe Grüße!
Es ist schon erstaunlich, welche Faszination Löwen schon früh auf Menschen ausgeübt haben, obwohl diese nie in Wirklichkeit gesehen haben!
Auch in Europa waren Löwen wohl nie heimisch, wurden und werden aber häufig abgebildet, teils recht fantasievoll. (Elefanten genau so, wenn ich mir das so überlege, da die Künstler nicht so genau wussten, wie Elefanten überhaupt aussehen.)
Ich mag besonders deine verspielten Löwen am Primeminister Mansion in der Provinz Shanxi.