Wo kommst Du her?

„Wo kommst Du her?“ Das ist wohl eine der häufigsten Fragen, die mir schon in meiner Kindheit geläufig war. Warum soll ich das heute nicht mehr fragen dürfen?

Die Zeit schreibt in einem Artikel vom Mai 2018 folgende Empfehlung:

Wenn du Menschen beim Smalltalk fragst, woher sie kommen, und sie antworten München – dann ist das vermutlich einfach so. Frag bitte nicht (sofort) nach ihren Eltern, Großeltern und Urgroßeltern. Frag lieber dich: Warum ist dir das so wichtig? Kann das weg?

Ich habe mich gefragt, warum mir das wichtig ist.

Vorab: Ich finde es ganz furchtbar, dass diese Frage neuerdings mit einem solchen Tabu belegt wird. Viele tolle Menschen hätte ich nie kennen gelernt, wenn ich mir bei jeder Begegnung diese Frage verkniffen hätte. Oder wenn mein Gesprächspartner sich nicht getraut hätte, sie zu stellen.

Zum Beispiel ist mir in Peking beim Grab des Matteo Ricci ein ehemaliger Botschafter Chinas in Kanada begegnet, der mich gerne und voll freundlicher Neugier nach meinem Woher erkundigte. Es entspann sich ein hochinteressantes Gespräch!

Wo kommst Du her?

Bevölkerung Chinas
Steinwald: Für eine Filmaufnahme versammeln sich Menschen in den bunten Trachten der Minderheiten

In meiner Kindheit

Der Frage nach meiner Herkunft begegnete ich schon in meiner Kindheit recht häufig. Und das, obwohl ich in einer gutbürgerlichen deutschen Familie aufwuchs und auch sehr mitteleuropäisch aussah.

Flüchtlingskind

Kopf mit vielen Zöpfen und eingeflochtenes Perlen.

Meine Mutter war 1945 aus Schlesien zu Fuß bis nach Hannover geflohen. Das Leben gestaltete sich in Westdeutschland für sie nach dem Krieg nicht einfach. Sehr schnell legte sie ihren schlesischen Akzent ab, lernte perfektes Hochdeutsch zu sprechen. Das war die Voraussetzung, um als Lehrerin eine Stelle zu finden und auch um gesellschaftlich akzeptiert zu werden.

Noch in den 1960er Jahren wurde nach der Herkunft gefragt. Ich kann mich erinnern, dass im Klassenbuch damals stand „Mutter – Flüchtling“. Das reichte aus, um von manchen Klassenkameraden nicht akzeptiert zu werden.

Ähnlich erging es mir noch, als wir 1967 von Dortmund nach Niedersachsen umzogen. Ich ging in Bückeburg aufs Gymnasium Adolfinum, ein altehrwürdiges Institut. Nach anfänglichen Schwierigkeiten legte ich ganz schnell meinen Ruhrpott-Slang ab.

Das Schlimmste aber, was mir damals in der Hinsicht auf meine Aussprache passierte, war, dass mein geliebter Patenonkel mir sagte: „Man merkt gar nicht mehr, dass Du aus dem Ruhrpott kommst!“

Nichtsdestotrotz habe ich damals auf die Frage „Wo kommst Du her?“ mit Stolz geantwortet „Dortmund!“

Ferienzeit

Kopfbedeckung Hut

Ganz normal für mich war die Frage nach meinem Woher, wenn wir in den Ferien in Skandinavien unterwegs waren. Die entsprechenden Antworten in der Landessprache lernte ich mindestens genauso schnell wie Danke und Guten Tag. Schon mit 7 Jahren wusste ich, dass Deutschland auf Finnisch „Saksa“ heißt.

Das setzte sich auch auf meinen späteren Reisen fort. Ich weiß gar nicht, auf wie vielen Sprachen ich heute sagen kann „Ich komme aus Deutschland!“.

Auf Reisen

Während meiner vielen, vielen Reisen ist mir die Frage „Wo kommst Du her?“ sehr oft gestellt worden. Die Antwort war nicht immer ganz einfach.

Wo liegt Hannover?

Häufig lief die Frage darauf hinaus, dass man gerne wissen wollte, aus welcher Stadt in Deutschland ich herkomme. Das interessierte vor allem Reisende unterwegs.

Kopf, die Haare geschmückt mit bunten Schmetterlingen.

Den größten Teil meines Erwachsenenlebens habe ich in Hannover verbracht. Nun kennt kaum jemand in der weiten Welt Hannover und weiß, wo das liegt.

Ich liebe Hannover sehr! Es fiel mir manchmal schwer, die Frage „Wo liegt Hannover?“ zu beantworten. Zähneknirschend presste ich ein „Hannover liegt ungefähr 150km südlich von Hamburg!“ heraus. Ah, Hamburg kennen die meisten, freudestrahlend wurde ich dann angelacht. Naja, mittlerweile habe ich mich dran gewöhnt. Nun lebe ich seit einigen Jahren in Hamburg. Kein Problem mehr!

Übrigens kennen recht viele Chinesen Hannover, weil sie dort schon von der großen Industriemesse gehört haben.

„Hitler – guter Mann“

In manchen Ecken der Welt bekommt man auch heute noch den Hinweis auf H. als anerkennende Antwort, wenn man sich als Deutsche outet. Mich hat das anfangs ziemlich schockiert. Manche schienen sogar zu glauben, dass der Mann immer noch lebt und Deutschland regiert.

Grab des Königs Wang Jian Trommlerin

Manchmal war eine Diskussion schon aus sprachlichen Gründen nicht möglich. Ich beschränkte mich meistens darauf, deutlich meine Abneigung zu zeigen. Wenn möglich weise ich daraufhin, wie froh ich bin, dass wir die Nazi-Zeit (hoffentlich!) hinter uns haben.

„Ich bin aus Deutschland“ auf Chinesisch

我​是​德国人
Wǒ shì Déguórén
Ich + bin + Deutschland + Mensch
Ich bin Deutsche

Ja, das war wirklich einer der ersten vollständigen Sätze, die ich auf Chinesisch sagen konnte.

德国  deguo = das Land der Tugend – wörtlich übersetzt. Das finde ich sehr schön.

Ich frage andere „Wo kommst Du her?“

Diese Frage ist für mich selbstverständlich und hat nichts mit Rassismus zu tun. Ich bin an den Menschen interessiert. Auch der familiäre Hintergrund gehört für mich dazu.

Meistens freuen sich die Gefragten. Wenn ich dann sage, den Ort/das Land kenne ich oder da würde ich gerne mal hinreisen, dann geht häufig ein Leuchten über des Gesicht des so angesprochenen und ein lebhaftes Gespräch entsteht. Egal, ob jemand aus Duisburg kommt oder aus Afrika oder sonstwo. Wenn einer aber, aus welchem Grund auch immer, nicht drüber sprechen möchte, dann ist das ok für mich.

Begegnungen mit Chinas Bevölkerung fallen mir leicht

Ich verstehe allerdings nicht, warum es für einen Menschen ein Problem sein soll, auf die Frage nach dem Woher zu antworten: „Ich komme aus Duisburg. Die Ursprünge meiner Familie liegen in Istanbul.“ Würde eine solche selbstbewusste Antwort nicht auch den Rassisten den Wind aus den Segeln nehmen?

Niemand muss sich für seine Herkunft oder die seiner Familie schämen. Mit Stolz und Selbstbewusstsein sollte sich jeder Mensch zu seinen Ursprüngen bekennen.

Sicherlich wird eine Zeit kommen, wo die Frage auch für türkischstämmige oder dunkelhäutige Menschen keine große Rolle mehr spielen wird. Genauso wie es heute niemanden mehr wirklich interessiert, wo die familiären Ursprünge von Menschen mit Namen wie Koslowski oder Petrowitsch liegen. Wobei: Ich finde es immer spannend, Familiengeschichten zu hören und mir auch Namen erklären zu lassen.

Häufig ist die Frage nach dem Woher ein wunderbarer Einstieg in ein freundliches und interessantes Gespräch. Manchmal ist die Frage sogar notwendig und beugt Missverständnissen vor, wie die folgende kleine Geschichte zeigt:

1987 setzte sich im Zug von Xi’an nach Chengdu eine junge Frau zu mir. Eine kurze Zeit unterhielten wir uns auf Englisch. Doch dann dämmerte uns, dass wir beide keine Native English Speaker waren. Die Frage „Wo kommst Du her?“ brachte die erfreuliche Auskunft, dass wir beide aus Deutschland waren. Dies war der Anfang einer langen Freundschaft über die Reise hinaus.

Nein! Die Frage nach dem „Woher“ finde ich nicht rassistisch! Es mag einzelne dumme Menschen geben, die die Frage rassistisch meinen. Denen sollte der Gefragte mit Würde und Selbstbewusstsein antworten!

Schüler 2022: In einer Nachhilfestunde mit 10jährigen, alle mit Migrationshintergrund, fragte ein Schüler ein Mädchen: „Wo kommst Du her?“ Das Mädchen antwortete völlig unbefangen. Ich wünschte, das könnte immer so sein.

Reiseblogger gegen Rassismus

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Ulrike
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4 Gedanken zu „Wo kommst Du her?“

  1. Liebe Ulrike,

    den Satz ‚Ni shi nali ren?‘ (Wo kommst du her?) war mein Lieblingssatz um mit Chinesen ins Gespräch zu kommen.
    Die Frage wird ja in China (unter den Chinesen selbst und gegenüber Ausländern) häufig verwendet. Die Chinesen unter sich antworten dann meinst mit der Provinz oder Gegend, woher sie kommen.
    Da ich viel in Chinas bereist habe, konnte ich dann immer mit ein paar Schlagwörtern (Sehenswürdigkeiten, Städte, lokale Speisen) antworten, was sofort das Eis brach.
    Natürlich antwortete ich immer auf die Frage: ‚Wo shi Suzhou ren. Xin Suzhou ren‘ 😛

    Viele Grüße nach HH sendet
    Christoph

  2. Hallo Ulrike, ein interessanter Text zu einem wichtigen Thema. Beim Lesen bin ich über folgendes Zitat gestolpert: „Niemand muss sich für seine Herkunft oder die seiner Familie schämen. Mit Stolz und Selbstbewusstsein sollte sich jeder Mensch zu seinen Ursprüngen bekennen.“ Wie wahr. Ich stimme voll zu.

  3. Liebe Ulrike, wieder ein wundervoller Bericht! Ich finde es für beide Seiten legitim! Menschen die sichfür die Kulturen der Welt interessieren sind halt neugierig! Das ist auch GUT so.
    LG Reiner

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